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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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auch auf die Serviettenringe auszudehnen.
    Sie hat auf dieser Insel nie heimisch werden können, dachte Laura, indem sie sich wieder zum Fenster drehte, zum Licht. Ebenso wenig wie ich. Der Gedanke, etwas mit ihrer Stiefmutter gemeinsam zu haben, erstaunte und befremdete sie zugleich. Ob Madame Bresson sich gefürchtet hatte, in diesem großen düsteren Haus, in das sie durch ihre Heirat mit dem wohlhabenden Hotelier geraten war? Wie lange mochte sie auf einen eigenen Serviettenring gewartet haben? Und wann hatte sie erkannt, dass sie im Herrenhaus eine Fremde bleiben würde?
    »Aber warum nimmst du denn nicht Platz?«
    Laura fuhr herum. Auch dieses Mal hatte sie ihre Schwester nicht kommen hören.
    »Hab ich dich erschreckt?« Sie lächelte. Eine seltsame Mischung aus Unschuld und Triumph. »Tut mir leid.«
    »Kein Problem«, sagte Laura und ließ sich zögerlich aufeinem der mittlerweile reichlich zerschlissenen Stühle nieder, wobei sie es bewusst vermied, ihren alten Platz links des Kopfendes zu wählen. Das Holz der Tischplatte war stumpf und wies an mehreren Stellen helle Verfärbungen auf. Offenbar hatte jemand den Versuch unternommen, dort Verunreinigungen zu entfernen. Es ist niemals Blut an diesem Tisch gewesen, versuchte sie sich zu beruhigen, während immer neue Schweißtropfen ihren Nacken hinunterliefen und im Kragen ihres Blazers versickerten. Was immer diese Flecken verursacht hat, hat mit dem Tod unseres Vaters nicht das Geringste zu tun. Doch auch diese Gewissheit konnte sie nicht wirklich beruhigen.
    Ihre Schwester fingerte ein Streichholzbriefchen aus dem Bund ihrer Leggins und entzündete die zerlaufene Kerze, die wie eine abstrakte Skulptur mitten auf der Tischplatte klebte. Der Kuchen, den sie gekauft hatte, steckte noch immer in der Schachtel, aber wenigstens hatte sie den Deckel entfernt. Laura roch Alkohol, Kirschwasser.
    Sie hat tatsächlich eine ganze Torte besorgt, dachte sie, nicht etwa ein paar Stücke auf einem handlichen kleinen Papptablett. Ob das bedeutete, dass ihre Schwester weitere Gäste erwartete? Ginny und Ryan vielleicht? Oder Tante Cora?
    Aber dort auf dem Tisch standen nur zwei Teller ...
    »Hast du denn überhaupt noch hergefunden?« Mia griff nach einem angelaufenen Tortenheber und wuchtete mit konzentrierter Miene ein riesiges Stück Sahnetorte aus ihrer Kuchenschachtel.
    Laura registrierte, dass die Fingernägel ihrer Schwester bis auf die Haut abgekaut und die Ränder blutverkrustet waren. »Sicher«, antwortete sie leichthin. »Obwohl sich natürlicheiniges verändert hat. Auf der Fahrt dachte ich manchmal ...«
    »Du warst fünfzehn Jahre fort«, fiel Mia ihr ins Wort. »Was hast du erwartet?«
    Anstelle einer Antwort nahm Laura eine Tasse von Mias Tablett und hielt sie ihrer Schwester hin. »Und wie läuft's bei dir?«, erkundigte sie sich in munterem Plauderton. »Malst du noch?«
    In Mias Pupillen schien etwas zu zucken. »Früher hast du dich nie dafür interessiert«, stellte sie sachlich fest, während sie Kaffee einschenkte. Doch um ihren Mund lag unverkennbar ein Hauch von Strenge.
    »Stimmt«, gab Laura zu. »Aber ich verstehe ja auch nicht allzu viel von Kunst, wie du weißt.«
    Mia verzog keine Miene. »Was machst du in Frankfurt?«, fragte sie, indem sie ihrer Schwester den Kuchenteller über den Tisch reichte. »Wenn du nicht arbeitest, meine ich.«
    Was will sie hören?, überlegte Laura. Dass ich ins Museum gehe? Oder ins Theater? Nein, Schwesterherz, ich gehe nicht ins Museum, dort ist es mir zu still. Ich gehe auf Partys. Laute Partys mit lauter Musik und lauten, oberflächlichen Leuten, die nichts über mich wissen wollen und in deren Gegenwart ich meine Alpträume vergessen kann.
    »Ich treffe mich mit Freunden.«
    »Aha.«
    »Aber meistens bin ich sowieso bis spätabends in der Agentur. Und danach habe ich dann auch keine Lust mehr, noch irgendwas Großartiges ...«
    »Die Antwort ist übrigens ja«, unterbrach Mia sie erneut.
    »Was?«
    »Ja, ich male noch immer. Das wolltest du doch wissen, oder?«
    Laura nickte. »Ja«, sagte sie. »Das wollte ich wissen.«
    Sie hatte das seltsame Gefühl, ihre Schwester gleichzeitig in verschiedenen Stadien ihres Lebens sehen zu können: Mia als Schulkind mit Zöpfen. Mia als junges Mädchen mit ernsten Augen und merkwürdig verschnittenem Kurzhaar. Und heute: eine unförmige Mia mit rastlosem Blick hinter einem Vorhang aus Haar. Eine Mia, die nach wie vor ihre komischen Bilder malte und noch immer in dem Haus

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