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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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sie hing, irgendein »Bin gleich wieder da«-Zettel mit dem Hinweis, dass ein Zweitschlüssel für sie im Hotel hinterlegt sei, oder dergleichen. Aber sie konnte nichts entdecken. Also zog sie ihr Handy heraus und wählte zum zweiten Mal an diesem Nachmittag die Nummer des Herrenhauses, die zugleich die einzige Nummer war, die sie von ihrer Schwester besaß.
    Sekunden später hörte sie, wie irgendwo in weiter Ferne ein Telefon zu läuten begann.
    Doch genau wie vorhin hob niemand ab.
    Sie könnte überall sein, dachte Laura. Schließlich war sie schon früher einfach losgeradelt, wann immer sie geglaubt hatte, irgendein blödes Licht einfangen zu müssen – Besuch hin oder her. Und was war denn schon ein Wiedersehen mit der eigenen Schwester gegen die Möglichkeit, einen Haufen sündhaft teurer Farben zu verschwenden, um eine unwiederbringliche Stimmung auf Papier zu bannen?!
    Ärgerlich strich Laura sich eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn. Wenn der Tod unseres Vaters ihr nicht ein so ansehnliches Vermögen beschert hätte, wäre meine verehrte Künstler-Schwester seit Jahren ein Fall fürs Sozialamt, dachte sie, indem sie mehr aus Ratlosigkeit als planvoll eine Hand auf die Klinke legte. Doch zu ihrer Überraschung gab die Tür nach und öffnete sich ins Innere des Hauses.
    Laura stutzte.
    Gut, tagsüber war die Vordertür auch früher fast immer unverschlossen gewesen, aber nach allem, was in diesem Haus geschehen war, würde man doch abschließen, oder nicht? Lauras Finger krampften sich um das Handy. Vielleicht auch nicht, dachte sie. Nicht, wenn man sicher sein könnte, dass der Mörder nicht von außen kam ...
    Und jetzt? Was hast du jetzt vor? Willst du hier rumstehen, bis Ryan auf dich aufmerksam wird? Oder Ginny?
    Laura straffte die Schultern und stieß die Tür gerade so weit auf, dass sie eintreten konnte. Doch alles, was sie erkennen konnte, waren entfernte, muffige Schatten. An der Wand gegenüber hatte eine wuchtige Teakholzkommodegestanden, das wusste sie noch. Und links davon musste irgendwo ein Spiegel sein ... Sie ließ ihren Trolley auf der Schwelle stehen, damit die Haustür nicht hinter ihr ins Schloss fallen konnte, und machte ein paar Schritte in den Raum hinein. Die Eingangshalle des Herrenhauses war immer düster gewesen, aber plötzlich fiel ihr wieder ein, wo sich der Schalter befand. Ihre Hand tastete suchend über die Wand, deren rauer Putz noch derselbe zu sein schien wie vor fünfzehn Jahren. Derselbe Putz, dieselbe Düsternis. Fünfzehn Jahre hatten dem Grauen nichts anhaben können ...
    Aber irgendetwas hatte sich trotzdem verändert.
    Laura blieb stehen und überlegte, was es sein könnte, bis ihr auffiel, dass es der Geruch war, der nicht stimmte. Sie hätte nicht beschreiben können, wie das Haus früher gerochen hatte, aber jetzt roch es anders. Dumpf. Fremd. Erleichtert, dass sie etwas gefunden hatte, auf das sie ihre wachsende Unruhe schieben konnte, tastete sie sich weiter. In ihrem Rücken, dort, wo ein wenig Tageslicht durch die halbgeöffnete Haustür fiel, tanzten feine Staubteilchen in der untergehenden Sonne. Vielleicht hat Mia auch einfach nur vergessen, dass ich komme, dachte Laura unbehaglich. Das Telefonat, das sie vor zwei Tagen geführt hatten, war kurz und seltsam schleppend verlaufen. Ein paar Mal hatte sie etwas wiederholen müssen, weil ihre Schwester sie nicht verstanden zu haben schien, und insgesamt hatte Mias helle, immer etwas kindlich klingende Stimme einen fahrigen, unkonzentrierten Eindruck auf sie gemacht.
    Ihre Hand wischte über den rauen Putz, und endlich fanden ihre Finger nun auch den Lichtschalter. Der Kristalllüster unter der hohen Decke flammte auf, doch nurSekunden später ertönte ein lauter Knall und das Licht verlosch wieder.
    Laura schrie vor Schreck laut auf.
    Das war nichts! Nur ein simpler Kurzschluss. Ein technisches Problem, nichts weiter ...
    Mit weichen Knien ging sie auf die Treppe zu, die hinauf in die oberen Stockwerke führte.
    Und auf einmal sah sie ihre Schwester. Sie stand in der Diele, die links neben der Treppe vorbei in den hinteren Teil des Hauses führte. Zur Küche ...
    »Willkommen«, sagte sie. Es klang sperrig. »Schön, dass du da bist.«
    Sie muss durch die Hintertür gekommen sein, schoss es Laura durch den Kopf. Oder war sie am Ende doch die ganze Zeit im Haus gewesen?
    »Hattest du eine gute Reise?« Ihre Schwester trug ausgebeulte Leggins und ein fleckiges schwarzes T-Shirt, das über dem Bauch spannte.

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