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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Sie hatte zugenommen, seit sie einander zum letzten Mal gesehen hatten. Sogar erheblich zugenommen. Unter der engen Stoffhaut konnte Laura die Umrisse ihres Slips erkennen.
    »Ja, danke. Alles bestens.«
    Mia nickte. In den Händen hielt sie eine Schachtel, die die Aufschrift einer Konditorei trug.
    Also hatte sie wohl eingekauft ...
    »Ich habe Kuchen besorgt.« Sie trat einen Schritt näher. Ihr Haar war noch immer von diesem eigentümlich farblosen Blond, das Laura in Erinnerung hatte, und klebte ihr in schweren, wirren Strähnen am Kopf. Es machte den Eindruck, als ob sie es tagelang nicht gewaschen hätte.
    Laura unterdrückte einen Schauder des Abscheus, währendsich die Augen ihrer Schwester irgendwo auf Höhe ihrer Taille festbrannten. Mia war von jeher eine gute, fast manische Beobachterin gewesen, und auch jetzt schien sie jedes Detail von Lauras Kleidung, ihres Make-ups und ihres Mienenspiels in sich aufzusaugen. Ihr Blick hatte etwas Gieriges, eine Intensität, die Laura beinahe körperlich spüren konnte. Trotzdem gab sie sich alle Mühe, die Musterung ihrer Schwester ohne sichtbare Regung über sich ergehen zu lassen.
    »Du darfst doch Kuchen essen, oder?«
    Sag was, verdammt noch mal! Antworte ihr!
    »Kuchen ist wunderbar.«
    »Gut.« Es klang zufrieden. Fast wie ein Lob. »Warum gehst du nicht schon mal in den Salon, während ich den Kaffee aufsetze?«
    Laura blickte sich unschlüssig nach ihrem Trolley um. Das Wort »Salon« kam ihr mit einem Mal entsetzlich anmaßend vor, aber genauso hatten sie das riesige Zimmer auf der Westseite immer genannt. Du bist in einem »Herrenhaus« aufgewachsen und hast in einem »Salon« zu Abend gegessen, dachte sie mit einem ironischen Lächeln. Fast wie in einem schlechten Roman ...
    »Na los doch«, drängte Mia. »Mach's dir bequem. Oder möchtest du zuerst ...« Ihre Röntgenaugen stutzten. »Hey, ist dir nicht gut?«
    »Doch, doch«, entgegnete Laura hastig. »Alles okay. Ich bin nur ein bisschen zu warm angezogen.«
    Mias Blick blieb ein paar qualvolle Sekunden lang an ihrem Blazer hängen. Dann verzogen sich ihre Lippen zu einem verächtlichen Grinsen. »Ja, na klar.«
    »Reine Schurwolle«, stotterte Laura, indem sie den Blazeraufklappte und völlig blödsinnig nach der Waschanleitung suchte.
    Doch ihre Schwester hatte sich bereits umgedreht und schlurfte die lange Diele hinunter, zur Küche.
    Sie macht Kaffee dort, wo unser Vater gestorben ist, dachte Laura, während sie überlegte, ob der Herd wohl noch derselbe war wie vor fünfzehn Jahren. Vermutlich nicht, dachte sie, bestimmt hat die Polizei ihn mitgenommen. Wahrscheinlich haben sie gleich die ganze Küche mitgenommen! Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass sie den Kaffee, den ihre Schwester soeben aufgoss, nicht würde trinken können. Zumindest nicht, ohne sich ein weiteres Mal an diesem Tag übergeben zu müssen.
    Sie nahm ein Ende ihres Seidenschals und wischte sich den Schweiß von Stirn und Nacken. Dann trat sie durch die zweiflüglige Tür links des Korridors. Der Salon erstreckte sich über die gesamte Nordwestseite des Hauses und verfügte über einen riesigen offenen Kamin, vor dem ihr Vater an langen Herbst- und Winterabenden gesessen hatte, um eine späte Tasse Tee oder einen Scotch zu trinken. Die Einrichtung war noch dieselbe wie vor fünfzehn Jahren, allerdings wirkte auch hier alles irgendwie vernachlässigt. Laura sah zum Fenster hinüber. Die schweren, roten Vorhänge waren bis auf einen schmalen Spalt zugezogen und sperrten das Licht der untergehenden Sonne aus.
    Warum ist dir das vorhin eigentlich nicht aufgefallen, als du das Gesicht deiner Schwester hinter der Scheibe gesucht hast? Hättest du nicht sehen müssen, dass die Vorhänge geschlossen sind?
    Irgendwo tief im Haus rauschte Wasser.
    Mia machte Kaffee. Noch mehr Kaffee. Literweise Kaffee.
    Auf dem wuchtigen Eichenholztisch im vorderen Teil des Salons entdeckte Laura ein Tablett mit Tassen und zwei Kuchentellern, und ihr fiel auf, dass ihre Schwester keine Tischdecke aufgelegt hatte. Dabei hatten sie immer Tischdecken gehabt, früher. Schwere, dunkle Leinentischdecken mit passenden Servietten und dazu silberne Serviettenringe, auf denen die Initialen der einzelnen Familienmitglieder eingraviert waren. NB, MB und zweimal LB, denn der Vorname ihrer Mutter war Louisa gewesen, Louisa Bradley. Ein »JB« für Jacqueline Bresson hatte es hingegen nie gegeben. Irgendwie war es Madame Bresson nicht gelungen, ihre Präsenz im Herrenhaus

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