Blut Von Deinem Blute
lebte, in dem das Blut ihres Vaters an Möbeln und Wänden klebte.
Aber waren ihre Augen nicht blau gewesen, damals?
Ihre Schwester hatte sich unterdessen ebenfalls ein Stück Torte aufgetan und aß es mit sichtlichem Genuss. »Jetzt wird alles wieder so wie früher, nicht wahr?«, sagte sie mit einer Stimme, die irgendwie zu flimmern schien. »Weißt du noch, wie wir hier sonntags immer gesessen haben, und Mama und Cora haben Bratäpfel für uns gemacht?«
»Na, klar.« Laura rang sich ein dünnes Lächeln ab. Wie oft war es vorgekommen, dass Louisa Bradley Bratäpfel für ihre Töchter gemacht hatte? Dreimal? Viermal in dreizehn Jahren? »Du mochtest deine nur ohne Zimt.«
»Stimmt.« Ihre Augen strahlten wie die eines Kindes. Und auf einmal schienen sie doch blau zu sein. Tiefblau wie das Meer in der St. Quen's Bay, ganz so, wie Laura sie in Erinnerung hatte. »Lass uns Bratäpfel machen, ja?«
Meinte sie das ernst? Laura spürte, wie sich ihre Kehle zusammenzog. Der Gedanke an Bratäpfel mitten im August ließ die Übelkeit aufs Neue in ihr auflodern. Und sie begann auch wieder zu schwitzen. Hilflos sah sie zumFenster hinüber. »Jetzt sollten wir erst mal von deiner Torte kosten, meinst du nicht?«, sagte sie munter. »Sie sieht wirklich gut aus.«
Doch Mia schien sie nicht gehört zu haben. Ihr Blick ging irgendwo ins Leere. »Wo habe ich nur meinen Kopf?«, murmelte sie ärgerlich vor sich hin. »Wirklich, ich verstehe nicht, warum ich nicht früher auf diese Idee gekommen bin. Bratäpfel ...« Ihre Augen glitten über den fleckigen Tisch. »Lass mich nachdenken. Wir könnten vielleicht ... Nein, verdammt, es sind keine Äpfel mehr da.« Sie sprang auf und stieß dabei ihren Stuhl so heftig zurück, dass er umkippte. Die Flamme der Kerze spiegelte sich in ihrem Blick und ließ ihre Augen von einer Sekunde auf die andere wieder dunkler werden. Schwarz. »Aber das ist halb so schlimm.« Sie nickte. »Ich kaufe welche. Jetzt gleich. Es dauert nur ein paar Minuten, und ich ...«
»Die Geschäfte haben längst zu«, wandte Laura mit einem Blick auf ihre Armbanduhr ein.
Ihre Schwester hielt mitten in einer Bewegung inne. Fast so, als habe irgendwer sie einfach ausgeknipst. »Aber es sind keine Äpfel mehr im Haus.«
»Das macht doch nichts.« Laura nahm ihre Kuchengabel in der Hoffnung, sie auf diese Weise von dem Gedanken an Bratäpfel abzulenken. »Diese Torte sieht wirklich phantastisch aus.«
Sie nahm einen kleinen Bissen und wunderte sich, dass sie vor lauter Angst keinen Ekel mehr empfand. Nicht einmal Übelkeit.
Auf dem Gesicht ihrer Schwester erschien ein neuer Ausdruck. Einer, der Laura nicht gefiel. »Bestimmt magst du gar keine Sahnetorte.«
»Doch.« Sie lachte laut und unecht. »Natürlich mag ich Sahnetorte.«
»Aber Sahnetorte macht dick, und du willst bestimmt nicht dick sein.«
Laura wollte etwas erwidern, doch ihre Schwester ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.
»Du willst unter Garantie nicht dick sein«, fauchte sie. »Niemand will das. Wenn du nämlich dick bist, dann starren die Leute auf der Straße hinter dir her, wusstest du das?« In ihre Augen stahl sich ein Funkeln, das nicht länger konfus wirkte. Im Gegenteil. Es wirkte brandgefährlich. »Nein, ich wette, das wusstest du noch nicht. Aber es ist so. Wenn du dick bist, gaffen dich die Leute an, als ob du irgendein besonders widerwärtiges Insekt wärst. Wildfremde Kinder kichern sich bei deinem Anblick die Seele aus dem Leib und du passt nicht mehr in deine Klamotten, und irgendwann musst du den ganzen Plunder in den Altkleidercontainer schmeißen, weil er dir überall zu eng ist. Und während du noch Monate danach über irgend so ein verpisstes Laufband jagst, fragen sich die Kinder in Afrika, was in aller Welt sie mit einem Armani-Kostüm anstellen sollen.« Sie nahm Lauras Teller und kippte das halbgegessene Stück Torte mitsamt der Kuchengabel in die Schachtel zurück. »Glaub mir, Herzchen«, sagte sie mit einem garstigen Lächeln. »Du magst keine Sahnetorte.«
8
Ich betrachte Mias Haar, das im Wind flattert. Darunter ist ihre Stirn in tiefe, konzentrierte Falten gelegt. Hin und wieder hält sie für einen kurzen Moment inne und betrachtet die Zeichnung auf ihrem Schoß. Sie ist eine wirklich gute Zeichnerin, die mit wenigen Strichen das Charakteristische einer Landschaft oder eines Gesichts einzufangen vermag, und ich verstehe nicht, warum sie nach wie vor darauf besteht, diese wirren Bilder zu malen, anstatt
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