Blut Von Deinem Blute
Verbindung mit ihrer Stiefmutter zu lesen, aber so waren nun einmal die Fakten: Jacqueline Bresson war eine von ihnen gewesen, ein Mitglied der Familie. Ob ihr das nun gefiel oder nicht.
Sie sind alle im Herrenhaus gestorben, dachte Laura, und nun liegen sie hier zusammen in einem Grab.
Eine unerwartete Bewegung in ihrem Rücken ließ sie erstarren, und ihr erster Gedanke war, dass Mia ihr gefolgt sein könnte. Doch als sie sich umdrehte, blickte sie direkt in die warmen braunen Augen ihrer Patentante.
»Warum hast du denn nicht angerufen und gesagt, dass du kommst?« Cora Dubois sah noch genauso aus, wie Laura sie in Erinnerung hatte. Groß und schmalschultrig, mit sorgfältig zurückgekämmtem Haar und ebenmäßigcharaktervollen Zügen. »Dann hätte ich dir das Gästezimmer zurechtgemacht.«
Obwohl ihre Patentante ohne Vorwurf gesprochen hatte, befiel Laura augenblicklich ein schlechtes Gewissen. »Ich wollte ... Ich hatte eigentlich gar nicht vor, herzukommen«, stotterte sie. »Es war eher ein spontaner Entschluss.«
»Spontan? Nach fünfzehn Jahren?« Ihre Patentante bedachte sie mit einem prüfenden Blick. Dann jedoch breitete sich ein Lächeln über ihre Lippen. »Ach, was soll's, Hauptsache, du bist da«, sagte sie. »Als Ginny erzählte, dass du wieder hier bist, dachte ich zuerst, sie macht irgendeinen dummen Scherz. Doch dann fiel mir ein, dass Ginny eine durch und durch humorlose Person ist. Also habe ich michauf die Suche nach dir gemacht.« Laura fühlte ein Lachen an ihrem Hinterkopf. Ein lautes, aufrichtiges Lachen, das augenblicklich alle Gespenster vertrieb. »Aber jetzt lass dich erst mal anschauen.« Cora trat einen Schritt zurück und musterte ihr Patenkind kritisch. »Du solltest mehr essen«, befand sie ohne jede Sentimentalität. »Aber die kurzen Haare stehen dir ausgezeichnet. Es sieht so ...« Sie zögerte. »Es sieht erwachsen aus.«
»Das ist man wohl mit vierunddreißig«, entgegnete Laura mit einem Lächeln, das ihr selbst reichlich gezwungen vorkam. »Irgendwie zumindest.«
»Ja, vermutlich.« Cora lächelte auch. »Aber, sag mal, stimmt es tatsächlich, dass du drüben bei Mia wohnst?«
Laura bejahte.
Und wieder dieser prüfende Blick. Als ob ihr irgendetwas Unbehagen bereite. »Wessen Idee ist das gewesen?«
»Meine«, antwortete Laura hastig. »Ich wollte sehen, ob ich das Haus aushalte. Und was ich dort empfinde, nach all diesen Jahren.«
Ihre Patentante schwieg einen Moment. »Ja«, sagte sie nach einer Weile. »Ja, ich glaube, ich verstehe dich.«
Das glaube ich kaum, dachte Laura. Aber sie sagte nichts.
»Und wie läuft es zwischen Mia und dir?«, fragte Cora einen Tick zu munter. »Kommst du klar mit ihr?«
»Ich weiß noch nicht so richtig«, räumte Laura ein. »Genau genommen haben wir uns eigentlich nur gestern Abend kurz gesehen, und da hatten wir leider nicht allzu viel Gelegenheit zum Reden.« Sie hielt inne, weil ihr klar war, dass sie nicht zu viel verraten durfte. Wenn sie auch nur andeutete, dass sie sich vor ihrer Schwester gefürchtet hatte,würde Cora ihr zweifellos vorschlagen, zu ihr zu ziehen. Etwas, das sie auf keinen Fall wollte. Schließlich war sie nicht hier, um sich in einem gemütlichen Cottage fern aller Gespenster verwöhnen und umsorgen zu lassen. Sie war hier, um die Wahrheit herauszufinden. Wie bedrängend auch immer sie sein mochte.
»Aber Mia war schon ...« Ihre Patentante rang sichtlich nach Worten. »Sie war doch nett zu dir, oder?«
Nett? Was genau meinte sie mit nett? Laura wandte eilig den Kopf, als auf dem Weg vor ihr wieder das Bild der verrottenden Sahnetorte aufblitzte. »Ja, sicher«, sagte sie. »Ich war nur ziemlich müde gestern Abend und habe mich früh auf mein Zimmer zurückgezogen. Und als ich aufgestanden bin, war Mia leider schon weg.«
»Ginny sagt, dass sie viel unterwegs ist«, nickte ihre Patentante. »Sie steht in aller Herrgottsfrühe auf und fährt mit dem Fahrrad irgendwohin, wo sie ihre Ruhe hat, um Gott weiß was dort anzustellen.«
»Vielleicht sitzt sie in den Dünen und zeichnet. So wie früher.«
»Ja, vielleicht.« Cora wandte den Kopf ab. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck, den Laura nicht deuten konnte. Trotzdem brachte er irgendwo tief in ihr ein rotes Lämpchen zum Glühen.
Ihre Patentante blickte an ihr vorbei auf den Grabstein hinunter. »Aber wie steht es denn nun eigentlich wirklich um das Haus?«, fragte sie betont beiläufig. »Sieht es da drinnen so schlimm aus, wie die Fassade
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