Blut Von Deinem Blute
hat sogar eigens einen Anwalt beauftragt.«
»Wozu?« Laura fiel buchstäblich von einem Erstaunen ins nächste. Nie zuvor war ihr in den Sinn gekommen, dass etwas, das ihr Erbe betraf, nicht korrekt sein könnte. Warum auch? Das Hotel lief ausgezeichnet. Es war schon ausgezeichnet gelaufen, als sie noch ein Kind gewesen war. Und Ryans Überweisungen kamen immer pünktlich. Warum um alles in der Welt sollte Mia ihn überprüfen lassen?Ausgerechnet Mia, die weltfremde Künstlerin, die von geschäftlichen Dingen noch weniger verstand als vom Malen? »Glaubst du, sie befürchtet irgendwelche Unregelmäßigkeiten?«
»Ach was.« Cora Dubois machte eine wegwerfende Handbewegung. »Deine Schwester jagt in dieser Beziehung offenbar denselben Gespenstern nach wie euer Vater.«
»Was meinst du?«, fragte Laura alarmiert.
Doch ihre Patentante wand sich sichtlich. »Ach«, entgegnete sie mit spürbarem Widerwillen, »ich weiß nur, dass es mal ziemlichen Ärger wegen ein paar Abrechnungen gegeben hat. Es hat Geld aus der Kasse gefehlt, glaube ich, und euer Vater machte eine Riesenszene daraus. Er stürmte rüber ins Hotel und stellte Ryan lautstark zur Rede. Allerdings«, fügte sie einschränkend hinzu, »hat sich das Ganze meines Wissens nach nie bestätigt.«
Laura hingegen war hellhörig geworden. »Mein Vater hat Ryan der Unterschlagung bezichtigt?«
»Na ja, vielleicht nicht Ryan persönlich.« Cora Dubois machte ein unglückliches Gesicht. »Aber als Geschäftsführer trägt er natürlich die Verantwortung für alles, was da drüben vor sich geht.«
»Wann genau ist das gewesen?«, fragte Laura.
»Das ist schwer zu sagen«, entgegnete ihre Patentante ausweichend. »Solche Dinge lassen sich rückblickend nur schwer einordnen und ... «
»Bitte«, drängte Laura. »Versuch dich zu erinnern.«
»Es muss ein paar Monate vor Nicholas' Tod gewesen sein«, sagte Cora nach einem Moment des Nachdenkens. »Wie lange davor, kann ich dir wirklich nicht sagen.«
»Gibt es noch Belege aus dieser Zeit?«
»Da fragst du mich wirklich zu viel. Aber ich glaube auch nicht, dass an dieser Geschichte damals tatsächlich etwas dran gewesen ist. Ich meine, die Polizei wird sämtliche geschäftlichen Unterlagen aus der Zeit vor dem Mord doch bestimmt akribisch überprüft haben, oder?«
Laura antwortete nicht. Gut, vielleicht hatten sie tatsächlich alles durchleuchtet und keine Unregelmäßigkeiten gefunden. Nichtsdestotrotz hatte ihr erfahrener und geschäftstüchtiger Vater seinem Manager kurz vor seinem Tod eine Szene gemacht und ihn der Unterschlagung bezichtigt ...
»Ich bin wirklich froh, dass du wieder hier bist«, riss die Stimme ihrer Patentante sie aus ihren Überlegungen. »Vielleicht gelingt es ja dir, deine Schwester in gewissen Fragen umzustimmen. Auf Ryan und mich hört sie leider viel zu selten und ...«
»Ich werde nicht bleiben«, fiel Laura ihr ins Wort. Sie musste klare Verhältnisse schaffen. Von Anfang an. Keine Zugeständnisse. Keine Ausflüchte. Keine falschen Hoffnungen. Sie war nicht hier, um Bratäpfel zu essen oder ihre durchgeknallte Schwester zur Raison zu bringen. Sie war hier, um Antworten zu finden. Antworten auf Fragen, die sie schon vor fünfzehn Jahren hätte stellen müssen. »In ein paar Tagen reise ich wieder ab.«
Die Pupillen in Coras Augen schienen eine Spur enger zu werden. »Warum«, fragte sie, »bist du wirklich hier?«
6
Es überraschte Leon, dass er problemlos einen Direktflug nach Jersey bekam, und er wertete diesen Umstand als gutes Omen – ebenso wie die Tatsache, dass im Beau Rivage trotz Hochsaison und guter Belegung noch ein Einzelzimmer frei war. Nachdem er den Check-in hinter sich gebracht hatte, beschloss er, die Zeit bis zum Abflug seiner Maschine dazu zu nutzen, seine Schwester anzurufen.
Er suchte sich einen Platz, wo er ungestört reden konnte, und wählte die Nummer der Klinik, in der Tonia nun schon so viele Monate lebte und die er trotzdem noch nie von innen gesehen hatte. Er hatte nie zu fragen gewagt, ob seine Schwester sich über seinen Besuch freuen würde, und unangemeldet dort aufzulaufen, war ihm irgendwie unklug erschienen. Unangemessen. Vielleicht gar gefährlich.
Eine reichlich unfreundliche Frau erklärte ihm, dass sie ihn eigentlich nicht so ohne weiteres mit einer Patientin verbinden dürfe, weil familiäre Kontakte während der Therapie grundsätzlich nur nach vorheriger Rücksprache mit den zuständigen Therapeuten erwünscht seien.
»Aber ich
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