Blut Von Deinem Blute
befürchten lässt?«
Laura starrte sie an. »Sag nur, du warst nicht dort seit damals?«
»In aller Regel fertigt sie mich noch vor der Haustür ab«, entgegnete ihre Patentante mit einem durchaus belustigten Achselzucken. »Oh, keine Sorge, ich nehme das nicht persönlich, denn so verfährt sie meines Wissens nach mit jedem, der das Haus betreten will. Sie lässt niemanden weiter als bis zum Briefkasten.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Ein- oder zweimal habe ich es bis in die Diele geschafft, aber meistens stelle ich ihr einfach vor die Tür, was ich für sie habe, und verschwinde wieder.« Sie bückte sich und zupfte ein winziges Unkraut aus dem sandigen Boden. »Zu den monatlichen Meetings mit Ryan und Ginny kommt sie allerdings immer. Und immer überpünktlich.«
Laura nickte. »Ja, davon hat sie mir schon erzählt.«
Ein Frühstücksraumabszess . ..
»Wirklich?« Ihre Patentante schien überrascht zu sein. »Na ja, sie hat eine ganze Menge Ideen, deren Umsetzung natürlich überhaupt nicht in Frage kommt, wie du dir denken kannst. Aber sie kämpft um jede einzelne von ihnen wie um ihr Leben.«
Unwillkürlich musste Laura wieder an den Ausflug in die St. Quen's Bay denken. An die Sandburg, die sie gebaut hatten. Und an die Vehemenz, mit der Mia diese Burg gegen die anbrandenden Fluten verteidigt hatte. Warum hat sie mich eigentlich nicht im Hotel untergebracht?, überlegte sie. Anscheinend lässt sie doch auch sonst niemanden ins Haus. Warum ausgerechnet mich?
»Weitaus unangenehmer als die ständigen Dispute ist allerdings die Tatsache, dass deine Schwester sich so beharrlich verweigert, wo es um notwendige Veränderungengeht.« Cora Dubois schüttelte unwillig den Kopf. »Ich habe fast den Eindruck, sie würde am liebsten alles so lassen, wie es ist.«
Bratäpfel, dachte Laura. Alles soll wieder so werden, wie es nie gewesen ist. Außer in Mias Kopf. Wenn meine Schwester auf die Vergangenheit zurückblickt, sieht sie Kisten voller Bratäpfel und Serviettenringe und das Ges-Dur-Impromptu von Schubert unter einem cremefarbenen Häkeldeckchen. Und ich?, dachte Laura schaudernd. Was sehe ich? Nur Blut.
Nichts als Blut ...
»Macht sie eigentlich irgendwas?«, wandte sie sich wieder an ihre Patentante. »Ich meine, arbeitet sie?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Cora Dubois runzelte die Stirn. »Hin und wieder scheint sie allerdings für ein paar Tage zu verreisen, und niemand weiß, wohin sie bei diesen Gelegenheiten fährt.«
»Mia verlässt die Insel?« Lauras Verblüffung war echt. Irgendwie wollte es ihr so gar nicht gelingen, sich ihre Schwester außerhalb dieser einhundertsechzehn Quadratkilometer vorzustellen, die die Insel umfasste. Nicht einmal außerhalb des Herrenhauses ...
»Ab und zu«, nickte ihre Patentante. »Meistens nimmt sie die Fähre nach Saint-Malo und hat – nach allem, was ich so höre – eine Menge Spaß daran, die Leute, die sie bei diesen Gelegenheiten anzusprechen versuchen, zum Narren zu halten.« Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln. »Ich sage dir, als ich deine Schwester zum ersten Mal in diesem Wagen gesehen habe, dachte ich auch, dass ...«
»Mia hat ein Auto?«, fiel Laura ihr entgeistert ins Wort.
»Ja, eine Art Geländewagen. Ein ziemlich großes Ding.«
»Und sie fährt ihn selbst?«
Cora Dubois nickte abermals. »Allerdings benutzt sie das Auto wohl nur, wenn sie nach Frankreich rüber will. Hier auf der Insel nimmt sie ausschließlich das Rad.«
Laura starrte auf den Kiesweg hinunter. Ihre Schwester besaß einen Führerschein. Und sie besaß auch ein Auto. Sie verließ die Insel und fuhr ... Ja, wohin denn eigentlich?
Nach Frankfurt, wohin denn sonst?! Sie könnte nach Frankfurt gefahren sein und auf der Straße vor deinem Haus geparkt haben. Sie ist ausgestiegen und hat hinaufgeblickt zu den Fenstern deiner Wohnung. Sie weiß, wo du arbeitest, was und wann du einkaufst, mit wem du essen gehst und mit wem du ins Bett steigst. Sie könnte es wissen. Sie könnte alles wissen ...
Tief erschüttert sah Laura ihre Patentante an. »Und ich dachte immer, sie kommt kaum klar ...«
Cora Dubois zögerte. »Weißt du, ich glaube, deine Schwester ist längst nicht so unbedarft, wie sie vielleicht wirkt«, sagte sie nach einer ganzen Weile. »Bei den Meetings weiß sie jedenfalls immer ganz genau Bescheid, auch wenn sie gern so tut, als verstünde sie kaum, worüber wir reden. Aber sie lässt jeden einzelnen Beleg überprüfen, ganz egal, um was es sich handelt. Sie
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