Blut Von Deinem Blute
noch vor dem Frühstück mit einem weiblichen Detective der PPU, der Abteilung für öffentliche Sicherheit der States of Jersey Police. Die Frau zeigte sich überraschend zuvorkommend und verwies ihn an einen Kollegen namens Jason Hearing, der vor fünfzehn Jahren mit dem Fall zu tun gehabt habe. Zwar sei Hearing gerade in einer Besprechung, aber wenn Leon gegen zehn vorbeikäme, stünde er sicherlich für ein kurzes Gespräch zur Verfügung.
Leon bedankte sich und gönnte sich ein ausgiebiges englisches Frühstück mit allem Drum und Dran. Dann verließ er das Hotel. Seitlich des Hauptgebäudes befand sich eine breite Toreinfahrt, die offenbar in erster Linie der Anlieferung von Waren diente und in den Hof hinter dem Hotel mündete, an dessen rückwärtige Mauer sich eine klaustrophobisch enge Gasse mit dem hochtrabenden Namen »Avenue La Trouille« anschloss. Diese führte, ganz wie Leon vermutet hatte, direkt auf den imposanten Backsteinbau zu, in dessen Küche Nicholas Bradley und seine zweite Frau vor fünfzehn Jahren ermordet worden waren.
Das Haus wirkte heruntergekommen, und wenn Leon es nicht besser gewusst hätte, würde er es wahrscheinlich für leer stehend gehalten haben. Im ersten Obergeschosshing ein ehemals weißer Fensterladen nur noch an einer Angel, und die Büsche und Sträucher, die das Gebäude umgaben, hätten dringend eines Nachschnitts bedurft.
Eine Bruchbude, dachte Leon mit einem Anflug von Beklemmung. Oder eine sichtbar gewordene Tragödie ...
Obwohl er jede Sekunde fürchten musste, Laura zu begegnen, blieb er eine ganze Weile im Schatten der Hotelmauer stehen und ließ die eigentümliche Atmosphäre ihres Elternhauses auf sich wirken.
Dann ging er zurück zum Hotel.
In der Lieferanteneinfahrt war inzwischen der Transporter eines Paketdienstes abgestellt. Die Tür zur Ladefläche stand offen, und an der Mauer unter den Küchenfenstern lehnten zwei großformatige, dabei jedoch außergewöhnlich flache Pakete. Der Fahrer, ein junger, athletisch gebauter Farbiger, stand an der Treppe zur Küche bei Ryan Marquette, der soeben die Lieferung quittierte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, rief er, als er Leon entdeckte.
»Nein, danke. Ich wollte mich nur ein wenig umsehen«, gab dieser unumwunden zu. »Aber ich fürchte, da hinten komme ich nicht viel weiter.«
»Nicht, wenn es Sie an den Strand zieht.« Marquette lächelte ohne Herzlichkeit. »Die Gasse führt über ein paar hundert Ecken in ein touristisch wenig ansprechendes Neubaugebiet und endet hinten beim Herrenhaus.«
»Dann nehme ich wohl besser den direkten Weg«, sagte Leon, und Marquette nickte, bevor er nach dem Durchschlag griff, den der UPS-Mann ihm bereits seit geraumer Zeit entgegenstreckte.
Im selben Moment kam eine Frau die enge Gasse hinter dem Hotel entlang. Sie ging Richtung Herrenhaus undschob ein altmodisches Herrenfahrrad neben sich her. Im Vorbeigehen blickte sie flüchtig herüber. Als sie den offenen Lieferwagen bemerkte, stutzte sie.
»Hey, Mia«, rief Marquette, der sie ebenfalls gesehen hatte. »Hier ist gerade eine Lieferung für dich gekommen!«
Leon kniff die Augen zusammen, um Lauras Schwester, die im hellsten Sonnenlicht stand, besser erkennen zu können. Sie trug khakifarbene Bermudashorts, die in der Taille von einem abgewetzten braunen Ledergürtel zusammengehalten wurden, und dazu ein rosafarbenes T-Shirt voller Farbflecken. Einige Sekunden lang verharrte sie regungslos. Dann ließ sie ihr Rad fallen, wo sie gerade stand, und kam argwöhnisch näher.
»Sind das meine Bilder?«, fragte sie, indem sie auf die beiden Kartons zeigte, die an der Wand unter den Küchenfenstern lehnten.
Marquette nickte. »Der junge Mann hier«, der Paketbote neigte grüßend den Kopf, »hat dich nicht angetroffen, und da hat er ...«
»Was?«, fiel Mia ihm ins Wort. Ihr Haar wirkte ungewaschen, und in ihrer Stimme schwang ein Hauch von Aggression. »Was hat er?«
Marquette hob beschwichtigend die Hände. »Ich habe ihm gesagt, dass er die Sachen hier stehen lassen kann und dass du sie dir später abholst.«
Mia starrte ihn an. »Meine Bilder?!«
»Ich dachte ...«
»Ich habe geklingelt, aber Sie waren nicht zu Hause«, mischte sich der Fahrer ein. »Und Ihr Nachbar war so freundlich ...«
Mia machte einen Schritt auf ihn zu und sah ihm mitdurchdringendem Blick direkt in die Augen. Sie war nicht gerade schlank, schien jedoch einen eher zierlichen Knochenbau zu haben, sodass sie bei aller Korpulenz beinahe
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