Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
Sie schüttelte sorgenvoll den Kopf, und Leon dachte, dass sie irgendwann einmal eine sehr hübsche Frau gewesen sein musste. Sie schien es zu bemerken und lächelte. »Cora Dubois«, sagte sie, indem sie ihm zum zweiten Mal die Hand hinstreckte.
    Lauras Patentante!, durchfuhr es Leon. Auch das noch! Schnell erwiderte er ihren warmen und erstaunlich festen Händedruck. »Leon de Winter.«
    »Franzose?«
    »Nein, Deutscher.«
    Cora Dubois zog die Augenbrauen hoch, und Leon hatte den flüchtigen Eindruck, als mustere sie ihn mit neuem Interesse. »Ich habe eine Patentochter, die seit vielen Jahren in Frankfurt lebt«, sagte sie nach einem Moment des Zögerns. »Ich glaube, sie fühlt sich sehr wohl dort.«
    Automatisch wartete Leon darauf, dass Ginny Marquette eine Bemerkung über seine Herkunft machen würde. Schließlich wusste sie, dass auch er aus Frankfurt kam. Doch die Frau des Geschäftsführers sagte nichts.
    »Und dieser Mann eben ...«, begann er, um die gefährliche Stille zu brechen, die sich zwischen ihnen breitgemacht hatte. »Was hat er gemeint, als er sagte, dass das Hotel ihm gehört hätte?«
    Die beiden Frauen tauschten einen Blick.
    »Seine Mutter war eine Zeitlang mit dem Besitzer verheiratet«, erklärte Ginny Marquette schließlich. »Und aus dieser Tatsache leitet er wohl gewisse Rechte ab.«
    »Was ist passiert mit ihr?«, fragte Leon, obwohl er mit der Antwort hinlänglich vertraut war.
    »Sie ist ermordet worden«, antwortete Ginny. »Sie und ihr Mann.«
    »Von wem?«
    Cora Dubois hob den Kopf. »Das hat die Polizei leider nie herausfinden können.« In ihrem Gesicht mischte sich ein unerklärlicher Schmerz mit wohlüberlegter Reserviertheit. Diese Frau gehört zweifellos zu den Menschen, überdie man absolut nichts weiß, wenn sie es nicht wollen, dachte Leon. Sie blickte ihn lange an, bevor sie die Kataloge, die sie bei ihrem Eintreten in der Hand gehalten und zwischenzeitlich auf einem der Tische abgelegt hatte, wieder aufnahm. »Bitte entschuldigen Sie mich«, sagte sie mit unmissverständlicher Endgültigkeit. »Aber ich habe noch zu arbeiten.«
    Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verließ den Raum durch dieselbe Tür, durch die sie gekommen war.
    »Habe ich irgendwas Falsches gesagt?«, fragte Leon.
    Heuchler, grinste der imaginäre Kevin in seinem Kopf.
    »Nein, nein.« Ginny Marquette strich sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. »Es ist nur ... Dieses Patenkind, von dem sie gesprochen hat, ist Juliens Stiefschwester.«
    »Das tut mir leid«, entgegnete Leon, ohne zu wissen, was er damit meinte.

13
    Um sie herum war Finsternis.
    Tiefe, undurchdringliche Finsternis.
    Ein paar Mal war ihr, als höre sie ihren Namen. Dann wieder das Läuten eines Telefons, irgendwo in weiter Ferne. Aber sie konnte nicht darüber nachdenken, was dieses Geräusch bedeutete oder ob es überhaupt real war. Es war ohnehin nichts als ein flüchtiger Eindruck mitten in dem tiefschwarzen Nebel, der sie umfing.
    Hin und wieder freilich zog sich der Nebel für einen kurzen Augenblick zurück. Zumindest ein bisschen. In solchen Momenten registrierte sie, dass sie fror. Die Welt um sie herum schien aus Eis zu bestehen, und in irgendeinem entfernten Teil ihres Gehirns blitzte eine Erinnerung auf. Ein Glas voller Wasser. Nein, kein Glas. Ein Meer. Das Meer. Das Zittern in ihrem Körper wurde stärker. Grauschlierige Weiten ohne Grund, ohne Halt, ohne Anfang und Ende.
    Hieß es nicht, dass man irgendwann einfach einschlief, wenn man erfror?
    Ganz ohne Schmerzen? Ganz ohne Angst?
    Dumpfe Fieberschauer jagten über ihren Körper. Und noch immer verspürte sie Durst. Brennenden, unstillbaren Durst.
    Sie konnte die Augen nicht öffnen, und eigentlich hatte sie auch nicht das Gefühl, dass es Sinn haben würde, sie aufzumachen. Etwas war mit ihr geschehen, etwas, das zu komplex und schrecklich war, als dass es mit den Augen zu erfassen sein konnte. Irgendeine unerklärbare, ganz persönliche Katastrophe.
    Sie spürte, wie ihre Zähne gegeneinanderschlugen, ohne dass sie etwas dagegen unternehmen konnte. Alles, was in ihrer Macht lag, war, dem Geräusch zu lauschen, das die Zähne machten, ein leises Klack-klack-klack, das schneller und schneller zu werden schien, je verzweifelter sie versuchte, ihm Einhalt zu gebieten.
    War da nicht ein fremdes Gesicht an ihrem Bett?
    Warum war es so kalt, so eisig kalt hier?
    Wo war Leon?

 
     

 
    Donnerstag, 22. August
     
     
    1
     
    Am nächsten Tag sprach Leon

Weitere Kostenlose Bücher