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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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heute früh kurz kennengelernt«, warf er vorsichtig den nächsten Köder aus.
    »Wen? Mia?«
    Er nickte.
    »Und?« Ihre Augen blickten interessiert. »Was sagen Sie zu ihr?«
    »Sie soll künstlerisch begabt sein«, antwortete Leon ausweichend.
    »Reden Sie etwa von diesen schrecklichen Schmierereien?« Sie zog die Stirn kraus. »Tja, so was hat sie schon als kleines Kind gemacht. Aber erkennen konnten Sie da gar nichts drauf. Alles nur Rot und Schwarz und Dunkelblau. Ich sage Ihnen, die armen Mädchen, die zum Putzen rüber ins Herrenhaus mussten, wussten nie, ob das Müll war oder der kleinen Bradley gehörte, was da rumstand. UndBerge von Rätseln machte die. Wenn wir Abreisen hatten, ist sie immer durch alle Zimmer gerannt und hat die Papierkörbe durchwühlt. Nach Zeitschriften. Aber nicht wegen der Mode oder so, wie normale Mädchen, sondern wegen der Kreuzworträtsel.« Ihr Kopfschütteln verriet blankes Unverständnis. »Kaufen durfte sie sich ja nichts, da war der Vater hinterher, dieser alte Sadist. Der hätte seinen Leuten noch das Atmen verboten, wenn's ihn Geld gekostet hätte.«
    Leon nahm einen Schluck von seiner Limonade. »Mia Bradley hat sich nicht besonders gut mit ihrem Vater verstanden, oder?«
    »Mit Nick Bradley konnte man sich nicht verstehen«, erklärte seine Gastgeberin, dieses Mal durchaus verständnisvoll. »Ein durch und durch profaner Mensch war das. Und der größte Geizkragen, der mir je untergekommen ist.« Sie sah in ihr Glas hinunter. »Einer, der über Leichen geht, wenn's ihm nur irgendwie nützt.«
    Diese Beschreibung des ermordeten Hoteliers erschien Leon angesichts der Sachlage beinahe absurd. Einer, der über Leichen geht. Tatsächlich war jemand über Nicholas Bradleys Leiche gegangen.
    Bernadette Labraque hingegen schien dieser Widerspruch nicht bewusst zu sein. »Aber so war ja die ganze Familie«, murrte sie. »Spielten sich als die großen Wohltäter auf, von wegen das Hotel retten und Arbeitsplätze erhalten und all das. Und natürlich waren wir damals heilfroh, dass es weiterging. Waren harte Zeiten nach dem Krieg.« Die Erinnerung ließ sie einen Augenblick innehalten. »Aber das Beau Rivage ist schon immer eine Goldgrube gewesen«, sagte sie dann. »Und Hans von Stetten«, sie sprach denNamen fast übertrieben sorgfältig und annähernd akzentfrei aus, »hat auf den ersten Blick erkannt, dass es auch schnell wieder eine werden würde. Mit Rettung und Wohltätigkeit hatte das nichts zu tun. Bloß dass der arme Pierre eben keine Reserven mehr hatte, um den Laden aus eigener Kraft wieder in Schwung zu bringen, verstehen Sie?« Sie lehnte sich zurück. »Er musste an von Stetten verkaufen. Und der hat noch nicht mal die Hälfte von dem bezahlt, was die Bude eigentlich wert war.«
    Leon konnte sich lebhaft vorstellen, was die Insulaner empfunden hatten, als einer ihrer Traditionsbetriebe nur wenige Jahre nach Kriegsende von einem Deutschen übernommen worden war. Und er fragte sich, wie viel Ablehnung Hans von Stettens Sohn von klein auf entgegengeschlagen sein mochte. Und was die Aversionen seiner Landsleute aus Nicholas Bradley gemacht hatten.
    »Und dann hat dieser Kerl doch tatsächlich noch die Frechheit, Pierre eine Stelle als Empfangschef anzubieten, in seinem eigenen Hotel!«, riss die Stimme seiner Gesprächspartnerin Leon unvermittelt ins Hier und Jetzt zurück. »Ich meine, natürlich hat er abgelehnt, aber er hat auch keine andere Arbeit mehr gefunden. War ja nirgendwo was zu holen nach dem Krieg. Also fing er an zu saufen. Und ein paar Jahre später hat er sich umgebracht.« In Bernadette Labraques kurzsichtige Augen stahl sich ein Ausdruck von Empörung. »Die Bradleys haben nicht mal einen Kranz geschickt zu seinem Begräbnis.«
    »Stimmt es, dass Mia Bradley einen heftigen Streit mit ihrem Vater hatte?«, bemühte sich Leon, das Gespräch wieder auf die Zeit unmittelbar vor der Bluttat zu lenken.
    »Und wie die sich gestritten haben«, nickte die Alte. »Bisraus auf den Hof haben Sie die gehört.« Sie reckte den Hals, um zu sehen, ob er noch genug Limonade hatte. »Aber das muss einen eigentlich nicht wundern. Die Mia konnte schon als Kind so wütend werden, dass sie glatt das Atmen vergessen hat. Dann warf sie sich auf den Boden, wo sie gerade stand, und lief blau an, bis sich irgendwer erbarmt und ihr einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen hat.«
    »Und bei diesem Streit vor dem Mord«, beharrte Leon, »konnten Sie verstehen, worum es da

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