Blut Von Deinem Blute
mit seiner zweiten Frau und den beiden Töchtern aus erster Ehe in dem scheußlichen alten Kasten hinter dem Hotel. Die Angestellten nannten es das Herrenhaus.« Er schüttelte den Kopf. »Das Ganze passierte an einem Freitagabend im August. Bradley und seine Frau, Jacqueline irgendwas ...«
»Bresson«, half Leon ihm auf die Sprünge.
»Richtig, ihr Mädchenname war Bresson.« Er nickteeine Weile stumm vor sich hin. »Hat mich damals maßlos gestört, dass sie alle so nannten, wahrscheinlich habe ich's deswegen verdrängt.« Archer hob entschuldigend die Achseln. »Ich kannte sie nur von den Fotos, trotzdem sehe ich sie vor mir: eine nicht sonderlich attraktive, kräftig gebaute Mittfünfzigerin mit eng stehenden, eisgrauen Augen. Sie hatte die unselige Angewohnheit, sich noch spätabends am Kühlschrank zu bedienen, was sie wohl auch in der Mordnacht vorhatte.« Sein Blick wanderte über das gepflegte Parkett. »Der Mörder hat ihr in der Küche aufgelauert und sie dort niedergeschlagen. Mit einem Beil, wie sich später herausstellte. Ihre rechte Schulter war zertrümmert, wohl, weil sie versucht hat, sich wegzudrehen und dem Schlag auszuweichen. Der zweite Hieb traf sie gegen den Kopf, wodurch sie aller Wahrscheinlichkeit nach das Bewusstsein verlor. Sie sackte zu Boden und blieb neben der Spüle liegen.« Er hielt inne und wischte mit der flachen Hand über seine Stirnglatze. »Anschließend hat der Mörder ihr die Kehle durchgeschnitten und sie verbluten lassen, aber all das ist Ihnen vermutlich längst bekannt.«
Leon schüttelte den Kopf. »Nicht in dieser Ausführlichkeit.«
»Die Schläge gegen Bradley waren mit blinder Wut ausgeführt«, wiederholte Archer, als sei ihm gerade dieser Umstand besonders wichtig. »Von insgesamt siebzehn Schlägen gegen Kopf und Gesicht hatten elf die Schädeldecke durchdrungen.«
Mein Gott, dachte Leon.
»Bei der Frau sah's, wie gesagt, ein bisschen anders aus.« Archer räusperte sich. »Nur zwei Schläge mit dem Beil, die zwar stark blutende Wunden hervorgerufen hatten, diesie jedoch durchaus hätte überleben können, wenn der Täter ihr hinterher nicht noch die Kehle durchgeschnitten hätte.«
»Hat eine der Töchter die Leichen zu Gesicht bekommen?«, fragte Leon, um das Gespräch unauffällig auf die Frau zu lenken, die ihn am meisten interessierte.
»Die jüngere«, nickte Archer. »Seltsames Mädchen.«
»Inwiefern seltsam?«
»Sie hatte so gut wie keine sozialen Kontakte und verbrachte einen Großteil ihrer Zeit mit Malen.« Archers Augen wanderten wieder zum Flügel. »Sie hatte Talent.«
Leon registrierte mit Verwunderung, dass der pensionierte Kriminalbeamte die allgemeine Einschätzung von Mia Bradleys künstlerischen Fähigkeiten ganz offenbar nicht teilte. Sie hatte Talent. Es war der erste persönliche Kommentar, zu dem sich der erfahrene Beamte hatte hinreißen lassen, und ausgerechnet dieser Kommentar stand in krassem Gegensatz zu allem, was Leon bislang gehört hatte. Reden Sie von diesen schrecklichen Schmierereien? Alles nur Rot und Schwarz und Dunkelblau. Leon starrte nachdenklich in seine halbleere Tasse hinunter. Irrte sich der erfahrene Beamte auf der anderen Seite des Tisches?
»Ist Ihnen bekannt, wie Mia Bradley nach dem Auffinden der Leichen reagiert hat?«, riss die Stimme seines Gastgebers ihn aus seinen Überlegungen.
»Sie meinen die Aufwischerei am Tatort?«
Archers wacher Blick traf ihn wie ein Laserstrahl. »Was halten Sie davon?«
»Um das zu beurteilen, müsste ich mehr wissen«, antwortete Leon ausweichend.
Der pensionierte Beamte räusperte sich abermals. »Nachdemdie Hausangestellte, die die Leichen entdeckt hatte, verschwunden war, um Hilfe zu holen, nahm Mia Bradley einen Eimer Wasser, wischte den Boden rund um die Leichen mit einem handelsüblichen Scheuertuch und reinigte anschließend auch das Beil, indem sie es über der Spüle mit einem alten Lappen abrieb. Es lehnte übrigens ordentlich an der Wand neben dem Kühlschrank, als wir eintrafen.« Er hielt inne und beobachtete die Reaktion seines Gastes. »Falls es jemals Fußabdrücke gegeben haben sollte«, fuhr er fort, »sind sie durch diese Säuberungsaktion unwiederbringlich vernichtet worden. Genauso wie etwaige Fingerabdrücke auf der Tatwaffe.«
»Stimmt es, dass Mia Bradley Blut an ihrer Kleidung hatte?«, bemühte sich Leon, ein weiteres Gerücht mit Fakten zu unterfüttern.
»Jein«, entgegnete Archer ausweichend. »Unsere Kriminaltechniker fanden zwar
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