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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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gab die Adresse von Detective Superintendent a. D. LionelArcher ein und folgte den englischen Anweisungen, wobei er hier am Festland deutlich länger brauchte, bis er sich an den Linksverkehr gewöhnt hatte, als drüben auf Jersey. Aber das mochte an der Breite der Straßen liegen. Die freundliche Stimme lotste ihn auf abenteuerlich anmutenden Wegen zunächst aus dem Hafenviertel und dann aus der Stadt heraus auf die Schnellstraße 27, die parallel zur Küste ostwärts führte. Die Sonne stach von einem unerfreulich weißen Himmel herab und tauchte die Landschaft in milchig-verwaschene Farben.
    Obwohl der Wagen über eine Klimaanlage verfügte, drehte Leon das Fenster bis zum Anschlag herunter, doch auch der Fahrtwind vermochte die stickige Hitze im Inneren des Fahrzeuges nicht zu lindern. Es wird ein Gewitter geben, dachte er, indem er sich mit einem Papiertaschentuch den Schweiß von der Stirn wischte. Irgendwann später an diesem Tag wird es blitzen und donnern, und das Meer wird sich in eine aufgepeitschte graue Masse verwandeln.
    Archers Haus lag am Rand einer kleinen Gemeinde mit dem klangvollen Namen Chipping Darby, etwa fünfundzwanzig Kilometer von Brighton entfernt, und machte einen penibel gepflegten Eindruck. Leon hielt unmittelbar vor dem Gartentor. Die schwüle Luft roch nach Dung und frisch gemähtem Gras, auf der Wiese neben dem Eingang lief ein Rasensprenger.
    Während Leon noch nach einem Namensschild suchte, wurde die Tür bereits geöffnet.
    Detective Superintendent Archer war ein kleiner, asketischer Mann mit Stirnglatze und aufmerksamen grauen Augen. Er lächelte, als er Leon eine angesichts der Hitzeerstaunlich kühle Hand reichte. »Herr de Winter, nehme ich an?«, fragte er auf Deutsch.
    Leon lächelte. »Ich wusste nicht, dass Sie meine Sprache sprechen.«
    »Tue ich nicht«, entgegnete Archer, dieses Mal auf Englisch. »Mit dem, was Sie eben gehört haben, sind meine Kenntnisse leider weitgehend erschöpft. Abgesehen von so lebenswichtigen Begriffen wie Fleischwurst, Kindergarten und Gemütlichkeit natürlich.« Der Kranz humorvoller Fältchen rund um seine Augen verriet Intelligenz und eine gehörige Portion Selbstironie. »Aber bitte, kommen Sie rein.«
    Er führte seinen Gast in ein aufgeräumtes Wohnzimmer, das in unaufdringlich-gemütlichem Landhausstil eingerichtet war. Auf einem Tisch beim Fenster standen Teegeschirr und ein Teller mit Keksen.
    »Ich bekomme nur selten Besuch«, erklärte der pensionierte Beamte. »Was nicht zwingend ein Manko sein muss.« Seine Augen funkelten amüsiert. »Allerdings muss ich zugeben, dass ich nie besonders gesellig gewesen bin. Etwas, mit dem sich meine Frau zeit ihres Lebens nicht anfreunden konnte.« Er blickte flüchtig zu einem imposanten Konzertflügel hinüber, der in der anderen Ecke des Raums stand. Ein wunderschöner alter Bechstein. »Sie ist vor drei Jahren gestorben.«
    Leon unterdrückte eine Phrase des Beileids, die ihm angesichts ihrer eben erst geschlossenen Bekanntschaft irgendwie heuchlerisch vorgekommen wäre, und nahm stattdessen in einem Sessel beim Fenster Platz.
    »Aber kommen wir zum eigentlichen Grund Ihres Hierseins«, sagte Archer, indem er seinen Gast fragend ansahund dann, auf Leons Nicken hin, Tee einschenkte. Seine Hände waren hager und von einem Geflecht feiner blauer Adern überzogen, sodass sie fast marmoriert wirkten. »Sie sagten am Telefon, dass Sie sich mit den Bradley-Morden befassen ...«
    Leon nickte nur. Aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl, dass es ihm ausgesprochen schwer fallen würde, den pensionierten Kriminalbeamten anzulügen, und er hoffte inständig, dass Archer ihn nicht nach dem Grund seines Interesses fragen würde.
    Und er hatte Glück. »Es war alles in allem ein überaus frustrierender Fall«, begann Archer von sich aus, nachdem er seinen Gast eine Weile gemustert hatte. Und Leon dachte, dass er im Normalfall ganz bestimmt nicht zu der Sorte Männern gehörte, die leichtfertig Informationen preisgaben. Trotzdem redete er. »In meiner gesamten Laufbahn ist mir nichts Vergleichbares untergekommen. Vor allem der Mann war regelrecht abgeschlachtet worden. Wir mussten uns die Unterlagen seines Zahnarztes kommen lassen, um ganz sicher zu gehen.« Er blickte aus dem Fenster, wo in einiger Entfernung zwei Pferde auf einer von niedrigen Wallhecken begrenzten Koppel standen. Dahinter, am Horizont, türmten sich erste Gewitterwolken in den schneeweißen Himmel. »Zum Zeitpunkt der Tat wohnte er

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