Blut von meinem Blut: Thriller (German Edition)
gehabt, als seine Tante Samantha anzurufen.
Es war merkwürdig, sie sich als » Tante Samantha « vorzustellen. Er war der Frau in seinem ganzen Leben nie begegnet – Billys ältere Schwester war unmittelbar nach der Highschool von Lobo’s Nod weggezogen und hatte nie einen Blick zurückgeworfen. In den Jahren, seitdem Billys Wüten die Nachrichtensendungen füllte, hatte sie getan, was sie konnte, um nicht in den Blickpunkt der Medien zu geraten. Nur einmal, nachdem ein Reporter sie am Ende einer langen Jagd – die Billys Verfolgung eines potenziellen Opfers an Präzision und Hartnäckigkeit in nichts nachstand – in der Tiefgarage eines Einkaufszentrums gestellt hatte, war ihr ein Kommentar zu entlocken gewesen. Sie hatte mit einer widerspenstigen Autotür gekämpft, während sie gleichzeitig ihre Handtasche, eine Einkaufstüte, einen Becher Kaffee und ein rotes Kleid an einem Kleiderbügel balancierte. Auf das Drängen des Reporters hin äußerte sie wiederholt: » Ich habe nichts zu sagen « , wie ein Mantra, das sie vor einem Dämon schützen sollte.
Aber dann ging die Tür endlich auf, allerdings mit einem Ruck, durch den das schöne neue Kleid von seinem Bügel rutschte und auf den schmutzigen Boden der Tiefgarage fiel, während der Kaffee obenauf landete. Wie es der Zufall wollte, fragte der Reporter genau in diesem Augenblick: » Was sollte Ihrer Ansicht nach mit Ihrem Bruder geschehen? «
Und die arme Samantha hatte genug. Von ihrem Bruder, von dem Reporter. Von dem verdammten Kleid, nach dem sie vermutlich den halben Tag gesucht hatte. Sie trat gegen die Wagentür und schrie: » Es gibt keine Hölle, die heiß genug ist für meinen [piep] Bruder! Wenn sie ihn hinrichten wollen, betätige ich eigenhändig den [piep] Schalter! «
Die Piepser hatte natürlich die Zensur des Senders beigesteuert. Offenbar fanden sie Samanthas Kraftausdrücke zu schockierend für die zarten Ohren derselben Zuschauer, die regelmäßig einschalteten, um weitere Einzelheiten darüber zu erfahren, wie Billy in seiner ausgedehnten Laufbahn vorwiegend junge Frauen vergewaltigt, gefoltert und ermordet hatte.
» Ich habe schon jemand « , sagte Jazz zu Howie, » aber ich brauche dich als Rückversicherung. «
» Damit dir der Sozialdienst nicht die Hölle heiß macht « , sagte Howie, bemüht wie ein fernöstlicher Mystiker zu klingen. » Du weißt, dass du das alles mit ein bisschen Papierkram auflösen könntest. «
Jazz stöhnte. Er wollte diese Unterhaltung nicht schon wieder führen. Howie setzte ihm neuerdings ständig zu, einen Antrag auszufüllen, um sich zum mündigen Jugendlichen erklären zu lassen. Damit würde ihm der Sozialdienst nicht länger über die Schulter blicken, und er hätte mehr Spielraum bei der Pflege seiner Großmutter.
» Nein. Das sind wir doch bereits durchgegangen … «
» Du meinst, du hast es bereits verworfen. Das ist nicht dasselbe, Alter. «
» Es ist zu kompliziert. Allein für die Überprüfungen und Befragungen müssten sie bei mir zu Hause einfallen. Gramma würde irgendwo in einer Pflegeeinrichtung landen, und ich könnte die letzten Monate, bis ich achtzehn werde, in einer Pflegefamilie verbringen, während der verdammte Antrag bearbeitet wird. Nein, Howie, vergiss es. Es ist leichter, einfach nicht aufzufallen, bis ich achtzehn bin. «
» Ich finde trotzdem, es wäre am besten für dich. Du kannst das nicht ewig durchziehen. « Er machte eine Geste zum Haus hin, in die er die ganze Komplexität von Jazz’ Leben einschloss.
» Das muss ich ja nicht. Ich muss nur noch eine Weile durchhalten. Und du musst nichts weiter tun, als mich ein paar Tage vertreten. Gramma mag dich. «
» Meistens mag sie mich « , sagte Howie mit unheilvoller Stimme. » Manchmal glaubt sie, ich sei eine Art riesiges Skelett, das ihre Seele fressen will. «
» Manchmal siehst du aus wie ein riesiges Skelett « , rief ihm Jazz in Erinnerung.
» Ja, aber das mit dem Seelen fressen ist schwer zu schlucken. Nun gut denn, ich werde einmal mehr dein Sancho Pansa sein. «
» Ich glaube nicht, dass du das ganz richtig … «
» Aber da wäre natürlich noch die Kleinigkeit meines Babysitter-Honorars zu klären … «
» Um Himmels willen, Howie! Wie viele Tätowierungen willst du noch auf mir unterbringen? Mir geht der Platz aus! «
» Ganz im Gegenteil, mon ami . Du hast noch deine Beine und Unterarme, zum Beispiel. «
» Ich werde wie ein totaler Freak aussehen, wenn du mit mir fertig bist. Kannst du
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