Blut von meinem Blut: Thriller (German Edition)

Gefühl der Wärme in Connie. Es war der sechste oder siebte solche Laden, den sie auf diesem Abschnitt einer verkehrsreichen Straße gesehen hatte. Die Friseurläden daheim in Lobo’s Nod hatten ihr Möglichstes mit Connies Haar getan, aber viel durfte sie von ihnen nicht erwarten. Sie hatte sich schließlich zum Flechten der Zöpfe und zur generellen Haarpflege an ihre Mutter gehalten, und dank des Internets konnte sie sich Zopfspray und Detangler liefern lassen, aber in einer Gegend zu wohnen, wo sich Dutzende von Läden um ihre Bedürfnisse kümmerten? Wo sie aus dem Bett steigen konnte und nur ein paar Meter gehen musste, um Balsam und Glättungsmittel zu besorgen? Sich ihr Haar von jemandem schneiden und richten lassen konnte, der so aussah wie sie, von jemandem, der wusste, was es hieß, solches Haar zu haben?
    » Kann ich dir helfen? « , fragte die Frau plötzlich. » Dauert nur noch eine Sekunde. « Sie gestikulierte mit der Zigarette, und ihre Miene sagte: Komm, Kleine, lass mich die hier keine Sekunde früher ausmachen als nötig.
    Connie spähte sehnsüchtig in das Fenster der Boutique. Sie könnte wahrscheinlich Stunden da drinnen verbringen, aber sie hatte etwas zu erledigen.
    » Eigentlich … « , fing sie an und legte mit der Geschichte los, die sie sich ausgedacht hatte, als sie um die anderen Tatorte herumgeschlichen war: Sie war Schülerin, die für die Highschool eine Arbeit über die Verlässlichkeit von Augenzeugenaussagen schrieb. » Jedenfalls war da drüben einer der Morde von Hut & Hund … « Sie zeigte zu einer Gasse, die einen halben Block entfernt einmündete. » Ich habe mich gerade gefragt, Miss … «
    » Nenn mich einfach Rabia. «
    » Sehr schön. Ich bin Connie. « Sie schüttelten sich die Hände.
    » Wer ist aus Puerto Rico? Mom oder Dad? « Die Frage brachte Connie kurz aus dem Konzept. Daheim in Lobo’s Nod dachten fast alle, Connie sei die Kurzform für Constance. Auf Consuela hatte noch nie jemand getippt.
    » Es heißt eigentlich Conscience. «
    Rabia lächelte. » Nett. Wer macht dir das Haar, Schätzchen? Es ist nicht schlecht, aber wenn ich dir noch ein paar Verlängerungen und … «
    » Ich muss eigentlich wirklich an diesem Bericht arbeiten … « , sagte Connie und biss sich auf die Unterlippe, als bedauerte sie, die Frau unterbrechen zu müssen.
    » Ach ja, diese Nacht « , sagte Rabia. » An die erinnere ich mich. « Sie zog mit geübter, sinnlicher Lässigkeit von ihrer Zigarette. Ihre Fingernägel – die man durch die fingerlosen Handschuhe sah – hatten die harte gelbliche Tönung einer schwer Nikotinsüchtigen. Connie konnte sich nur vorstellen, wie ihre Lunge aussah. » Die Polizei hat mich bereits darüber befragt. « Sie schniefte und rotzte Rauch durch die Nase aus, während sie erwartungsvoll dreinschaute, als würde sie auf Applaus warten.
    Connie riss die Augen ein wenig auf und sagte im Tonfall einer jüngeren Schwester: » Das ist ziemlich cool. «
    Rabia zuckte mit den Achseln, konnte ihre Freude aber nur schwer verbergen. » Keine große Sache. Es ist Monate her, war viel wärmer damals. «
    » Richtig « , sagte Connie. » Es war wärmer. Deshalb warst du vielleicht länger draußen. Zu einer Zigarettenpause. Und … « Sie ließ den Satz unvollendet stehen, damit Rabia die Lücke füllte. Das war etwas, was sie von Jazz gelernt hatte: Fängt man einen Satz nur an, neigen die Leute dazu, ihn für einen zu beenden. Es funktionierte nicht immer, aber sehr häufig spannen die Leute den Faden, ohne zu überlegen, einfach weiter.
    Connie hoffte, es würde diesmal funktionieren. Sie war bei fünf der Tatorte gewesen und hatte niemanden aufgetrieben, der zur Zeit der Morde dort gewesen war. Oder zumindest niemanden, der bereit war, es gegenüber dem erstbesten Teenager zuzugeben. Rabia war bisher ihre beste Chance.
    Und Rabia enttäuschte nicht.
    » Und ich stand genau dort drüben « , nahm Rabia den Faden auf und zeigte über eine einigermaßen geschäftige Straße. » Da drüben bei dem Briefkasten. Es war keine üble Nacht. Ich habe geraucht und auf mein Schaufenster geschaut, weil ich sehen wollte, wie es von dort drüben wirkt. « Sie wandte den Kopf, um in ihr Fenster zu schauen. » Ich bin mir immer noch nicht sicher wegen der Auslage. Findest du … «
    » Du warst also auf der anderen Straßenseite « , sagte Connie rasch, ehe sie in eine Diskussion über Schaufenstergestaltung gezogen wurde. » Und … «
    » Und es ist da drüben passiert.