Blut von meinem Blut: Thriller (German Edition)
man hatte ihm weder Handschellen angelegt noch ihm seine Rechte vorgelesen, sondern ihn nur herumgeschubst.
Im Innern war das Revier ein Tollhaus, voller Lärm und Chaos. Uniformierte Beamte und Detectives in Hemdsärmeln wuselten umher, dazwischen sah man einige Männer mit Krawatte, bei denen es sich wegen ihres steifen Auftretens nur um FBI -Agenten handeln konnte. Den Eingangsbereich des Reviers hatte man gewaltsam zu einer Art Kommandozentrale umfunktioniert. Weißwand- und Korktafeln auf Rädern standen an den Wänden und waren voll Fotos, Namen und Daten. Jazz erkannte alles aus dem Material wieder, das ihm Hughes am Abend zuvor gebracht hatte. Und genau hier saß Jazz länger als eine Stunde und wartete darauf, dass ihn jemand empfing. Die Detectives und Agenten warfen flüchtige, desinteressierte Blicke in seine Richtung, bis irgendwann jemand begriffen haben musste, wer er war. Von diesem Moment an schwirrten aufgeregte Gespräche durch die abgestandene, überheizte Luft des Reviers, und Jazz hätte sich am liebsten ganz klein und unsichtbar gemacht.
Er schickte eine SMS an Connie. Ich glaube, das kann ein Weilchen dauern …
Genau gegenüber von ihm waren in einem Rahmen an der Wand eine Reihe von Plaketten zusammen mit verschiedenen Dienstmarken und einer dreifach gefalteten Fahne befestigt. Es war ein Denkmal für den 11. September 2001, wie ihm bewusst wurde, als er die Plaketten las. Zu Ehren der Angehörigen dieses Reviers, die an jenem Tag ums Leben gekommen waren.
Jazz selbst war zu jung, um sich an 9/11 zu erinnern, aber Billy war in bestimmten Phasen davon besessen gewesen. Während Jazz’ ganzer Jugend hatte er manchmal dagesessen und sich immer wieder das Video angesehen, wie die Türme des World Trade Center einstürzten.
Diese Effizienz, murmelte Billy dazu. Aber kein Stil, kein Flair.
Das war der Unterschied zwischen Serienmord und Massenmord, soweit es Billy betraf.
» Alles, was die Dummköpfe erreicht haben « , sagte er einmal zu Jazz, » ist, dass die Leute Angst vor dem Fliegen haben und Angst vor New York. Was sie beides ohnehin schon hatten. Es braucht echtes Talent, um ihnen nahezukommen und es so persönlich zu machen, dass sie sich vor etwas Brandneuem fürchten. «
Jazz glaubte nicht, dass die Polizisten hier Billys Erkenntnisse zu der Tragödie, die ihnen ihre Kollegen geraubt hatte, zu schätzen wussten. Er hielt den Mund und wartete.
Schließlich flog ein Stück entfernt im Flur eine Tür auf, und Hughes kam herausgestürmt. Erst sah er Jazz nicht, aber als er näher kam, entdeckte er ihn, und seine Miene wurde vorübergehend weicher.
» Tut mir leid, Junge « , sagte er im Vorbeigehen.
Jazz begriff schlagartig, was geschehen war.
» Ich wünschte, ich könnte dir mehr sagen. Aber deshalb wollte ich dich ja dabeihaben. «
» Ich? «
» Ich, wir … egal. Ich war derjenige, der dafür plädiert hat, dich hinzuzuziehen, das ist alles. «
Long schleifte Jazz in das Büro, das Hughes gerade geräumt hatte, und er tat es grober als nötig bei jemandem, der freiwillig mitkam. Geht doch nichts über eine kleine Peinlichkeit, um die Aggression zu steigern, dachte Jazz.
Ein Polizist saß an einem Schreibtisch, seine Uniform war mit mehr Klimbim verziert als bei den anderen Polizisten, die Jazz gesehen hatte. CPT . NILES MONTGOMERY , stand auf dem Schild auf seinem Schreibtisch.
» Da ist er, Captain « , sagte Long und schüttelte Jazz ein wenig am Arm.
» Immer mit der Ruhe, Long. Lassen Sie es nicht an dem Jungen aus. Setz dich, Jasper. Long? Lassen Sie uns kurz allein. «
Long ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Nach kurzem Zögern nahm Jazz Platz.
Der Captain seufzte. » Es tut mir leid, dass ich das tun muss « , sagte er. » Du solltest eigentlich nicht hier sein. Du hättest nie hier sein sollen … «
Und dann kam alles heraus, genau wie es sich Jazz gedacht hatte: Doug Weathers’ Artikel war über Nacht auf die Website der Zeitung von Lobo’s Nod gestellt worden. Es dauerte nur einige Stunden, bis ein Reporter aus New York darauf stieß und die Folgerungen daraus erkannte. Der Reporter rief in der Pressestelle des New Yorker Bürgermeisters an und verlangte eine Stellungnahme zur Hinzuziehung von Billy Dents Sohn in die Ermittlungen im Fall Hut & Hund. Das Büro des Bürgermeisters, der vollkommen ahnungslos war und dem es schon bei der bloßen Vorstellung die Sprache verschlug, nahm sofort mit Captain Montgomery, dem Leiter der Task Force,
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