Blut von meinem Blut: Thriller (German Edition)
« Rabia deutete wieder, diesmal zu der Gasse. Vom Briefkasten musste man einen ziemlich guten Blick haben. Connie wusste bereits, dass das Opfer dort zurückgelassen wurde, die Eingeweide in einem Eimer von Kentucky-Fried-Chicken. » Ich habe der Polizei erzählt, dass ich einen Mann dort herauskommen sah. Vielleicht eins achtzig groß, vielleicht ein bisschen kleiner. Er trug eine Kapuzenjacke. Handschuhe. Ich weiß noch, dass ich dachte, es sei zu warm für Handschuhe. Daran erinnere ich mich sehr gut. Und das war es auch schon. «
» Und sonst hast du nichts gesehen? «
» Sag ich doch. «
» Oder gehört? «
» Hör zu … «
» Vielleicht hast du etwas gesehen, das du nicht richtig in Verbindung damit gebracht hast « , drängte Connie. Dann fiel ihr etwas ein. » Vielleicht ein Licht oder so. «
» Nein, ich habe der Polizei immer ge… « Sie brach mitten im Wort ab und ließ die Zigarette sinken, an der sie eigentlich gerade ziehen wollte. » Oh, Mann. Das hatte ich vergessen. Wie konnte ich das vergessen? «
» Was hast du ihnen nicht erzählt? «
Rabia sah aus, als wäre ihr schlecht. » Himmel, wie konnte ich das vergessen? Ich habe nicht mehr daran gedacht, bis du jetzt gefragt hast. In dieser Nacht war alles so verrückt … «
» Was, Rabia? « Connies Herz klopfte ein wenig schneller. Sie kam sich lächerlich vor. Glaubte sie wirklich, sie könnte den Fall im Alleingang knacken? » Was hast du ihnen nicht erzählt? «
Rabia schauderte, dann zuckte sie mit den Achseln, als habe sie hier und jetzt entschieden, dass es nicht wichtig sein konnte. » Du hast nach einem Licht gefragt, ja? Es war wahrscheinlich nichts, aber die Gasse hat kurz aufgeleuchtet, eine Sekunde, bevor der Mann herausgelaufen kam. «
Ein Blitz. Er hat wieder ein Foto gemacht. Warum? Hat Jazz recht – sind die Bilder nur seine Trophäen? Oder hat es einen anderen Grund?
» Das war wahrscheinlich nicht wichtig, oder? « Rabia kaute an ihrem Nagelbett, die Asche hing an ihrer Zigarette. » Allein damit hätten sie ihn nicht aufgehalten, oder? «
Connie bestätigte ihr, dass es vermutlich nicht so war, dann dankte sie Rabia und lief zu der Gasse. Zu ihrer Überraschung erschauderte sie, als sie hineinging – die Leiche war schließlich vor Monaten hier abgelegt worden, und nicht einmal ein Schnipsel Absperrband zeigte mehr an, was geschehen war, aber sie hatte immer noch ein Gefühl, als würde sie entweder verfluchten oder heiligen Boden betreten. Sie konnte nicht sagen, was von beidem.
Die Gasse sah auf niederschmetternde Weise genauso aus wie auf den Tatortfotos, als wäre die Zeit eingefroren, als der Winter kam. Der Müllcontainer war derselbe, auch wenn – sie betrachtete das Bild auf ihrem iPhone – die Mülltüten, die daraus hervorquollen, natürlich anders gestapelt waren. Und auf dem Foto des ursprünglichen Tatorts gab es keine Schneereste.
Connie seufzte und stieß eine Wolke in die kalte Luft, dann drehte sie sich im Kreis. Sie war nicht Jazz. Sie hatte keine Ahnung, worauf es hier ankam und worauf nicht. Jazz konnte sich Tatorte so vorstellen, wie sie gewesen waren, bevor der Täter sie verließ, bevor er sein Möglichstes getan hatte, um seine Spuren vor der Polizei zu verwischen. Jazz konnte sagen, ob etwas ein Hinweis oder Zufall war, Absicht oder Versehen. Er konnte denken, wie Verrückte dachten. Was konnte Connie tun?
Vielleicht kann ich ja denken wie Jazz.
Sie lief in der Gasse auf und ab und versuchte sich vorzustellen, was er tun würde. Er würde etwas über Billy murmeln. Dann würde er vielleicht diese Sache tun, wo er lautlos beide Seiten eines Gesprächs zu bestreiten schien. Das machte er nicht ständig, aber ihr fiel es auf, weil sie so viel mit ihm zusammen war. Sie war sich ziemlich sicher, dass es ihm selbst gar nicht bewusst war.
Er würde nach etwas Kleinem suchen. Oder nach dem, was sich nicht einfügte, egal wie groß es war. Oder vielleicht auch nach dem, was sich einfach ein bisschen zu gut einfügte. Manchmal, sagte Jazz, gab sich ein Täter zu viel Mühe, einen Tatort in einer bestimmten Weise aussehen zu lassen. Im richtigen Leben ist selten alles perfekt, wenn man also an einem Tatort etwas entdeckte, das zu gut aussah, um wahr zu sein, dann war es möglicherweise nicht wahr.
Connie schritt die Gasse in ihrer Länge und Breite ab. Sie zappte dabei durch die Bilder auf ihrem Handy und brachte sie mit den entsprechenden Stellen in der Gasse in Einklang. Es war nicht leicht.
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