Blut will Blut
eine Strafanzeige, ein Totenschein und eine Aussage,
mit der die Anzeige zurückgenommen wurde. Spraggues Blick folgte dem unsicheren
dünnen Lichtstrahl seiner Taschenlampe, als das Taxi abwechselnd losraste und
dann unvermittelt und ruckartig wieder hielt. Nichts Neues, nichts Neues... bis
auf die Namen. Ein Verzeichnis der Mitwirkenden.
Der Name «Dennis» sprang ihm in
die Augen. Spraggue hörte auf zu lesen, ging noch einmal zurück. Dennis Boland
wurde als Unfallzeuge erwähnt. Spraggue überprüfte Zeit und Ort des Unfalles:
früher Morgen, drei Uhr, eine stark befahrene Kreuzung. Und der fette Spider
lauerte praktischerweise an der Straßenecke? Er blätterte um.
Ein weiterer Totenschein,
diesmal vom Staat New York, aber ansonsten bemerkenswert ähnlich. Alison
Arnold, weiblich, 22, Einwohner der City of New York. Verstorben an massiven
Verletzungen infolge eines Verkehrsunfalles.
Massive Verletzungen. Und die
waren? Verschlüsselte Worte, um sensible Augen zu schonen? Keine perforierten
Lungen, keine verrenkten Gliedmaßen und kein blutiges Fleisch. Einfach nur
«massive Verletzungen» und Ende.
Soviel zu Alison Arnold. Wütend
schob Spraggue das Blatt zur Seite. Wieso kein ungewöhnlicher Nachname, ein
kleinstädtischer Geburtsort? Ambroses Tochter würde problemlos zu überprüfen
sein, da Name und Anschrift in Hurleys Bericht aufmerksamerweise erwähnt
wurden. Aber wie sollte er die Angehörigen von Alison Arnold finden, die
bereits sieben Jahre tot war?
Wieso überhaupt versuchen,
diese Menschen zu finden? Warum diese längst begrabenen Geister wecken? Falls
das Motiv des Scherz-boldes Rache war... Aber wenn es Rache war, warum dann die
Zitate aus Macbeth? Hamlet war das Stück der Rache. Oder Die
Spanische Tragödie. Warum Macbeth ?
Spraggues Finger stach auf die
nächste Seite, eine Anzeige gegen Arthur L. Darien wegen Trunkenheit am Steuer.
Und die Anklage: fahrlässige Tötung im Straßenverkehr, nicht der weiter
verbreitete Totschlag. Jemand hatte Dariens Kopf gewollt. Die Unterschrift auf
dem Anzeigeformular war krakelig, doch der Name war ordentlich mit
Schreibmaschine darunter getippt worden: Albert W. Arnold — und eine Adresse!
Also dürfte es doch nicht so schwierig sein, die Arnolds ausfindig zu machen.
Spraggue blätterte weiter. Kein
Untersuchungsbericht. Nichts — nur ein einzelnes, unterzeichnetes Dokument, mit
dem Albert Arnold sich einverstanden erklärte, sämtliche Anklagen gegen Arthur
Darien wieder fallenzulassen.
«Okay, wenn ich Sie hier
absetze?» Die Stimme des Taxifahrers unterbrach seinen Gedankengang. «Ich
könnte die Huntington nehmen, aber wenn Sie’s eilig haben...»
Viertel vor neun. Spraggue schob
die Unterlagen in den Umschlag, bezahlte und lief über die Straße.
Kapitel
Zwanzig
Das Theater, dachte Spraggue,
ist wie die Turnhalle einer High-School vor einem Schülerball geschmückt.
Darien hatte Floristen im zweigeschossigen Foyer wüten lassen. Eine
spätsommerliche Blütenorgie heiterte die ansonsten düstere Eingangshalle auf.
Rotgewandete Kellner huschten geschäftig mit schweren Silbertabletts umher.
Kronleuchter funkelten mit Kristallgläsern um die Wette. Spraggue rückte seine
Krawatte zurecht.
Außer Spraggues Leuten waren
bereits ein paar Gäste da, die auf die altmodische Art pünktlich waren. Tante
Marys Handtasche war groß genug, um Hurleys gesammelte Aufzeichnungen
unterzubringen. Ein Fotograf werkelte an seiner Ausrüstung herum. Von der unteren
Ebene wehte das Summen von Instrumenten herauf, die gestimmt wurden.
Nach und nach trudelten die
Schauspieler ein, suchten sich günstige Aussichtspunkte.
Caroline Ambrose, ganz in
schimmerndem Aquamarin gekleidet, hatte sich anscheinend von ihren nachmittäglichen
Abenteuern erholt und hielt auf der geschwungenen, zur ersten Galerie führenden
Treppe hof. Mit Orchideen im Haar drapierte sie sich dort vorteilhaft vor einer
reichverzierten Säule, von der aus ein vergoldeter Rokoko-Cherub ihr in den tiefen
Ausschnitt schielte. Eine Prozession von Männern mit Smokingjacken und grauen
Schläfen machte ihr die Aufwartung. Sie alle stanken förmlich nach Geld.
Als er hereinkam, hatte
Langford sich mit diesem blendenden Lächeln vor Spraggue verbeugt. In der Tat pflaumenfarbener
Samt, allerdings kein Kummerbund; dafür eine in Blau-, Lila- und Magentatönen
und einem Hauch Gold bestickte Weste. «Ich hoffe, wir kommen unserem Geist
allmählich näher», hatte Langford gebrummt. Als
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