Blutaxt: Die Eingeschworenen 5 - Roman (German Edition)
anderen fanden es in Ordnung. Keiner murrte, dass sie beladen mit ihren eigenen Gefährten dahinstolpern mussten, denn sie selbst wären auch nicht gern als kalte, steif gefrorene Leiche zurückgelassen worden, und alle waren sich einig, dass sie ihre Toten verbrennen würden, wenn sie erst weit genug von diesem Schlachtfeld entfernt waren und es wieder ein paar große Bäume gab.
So geschah es. Doch es dauerte fast die ganze folgende Nacht, bis sie eine genügende Anzahl der verdrehten, kleinen Krüppelkiefern aufgetaut und zu drei großen knackenden, zischenden Scheiterhaufen aufgeschichtet hatten. Und selbst diese Feuer konnten die trübsinnige Stimmung nicht bannen, die aus der Dunkelheit hinter dem Feuerschein kam und sich unter den Männern ausbreitete. Krähenbein saß jetzt ganz allein da, denn der gelbe Hund lag bei Bergliot, und obwohl beide nur auf der anderen Seite des Feuers waren, hätten sie genauso gut auf der anderen Seite der Welt sein können.
Adalbert murmelte Gebete, was ihm einige unwillige Blicke von den treuen Männern Odins und Thors einbrachte, also fing Gjallandi an, mit seiner volltönenden Stimme Gebete an Odin zu rezitieren, und alles drehte sich nach ihm um. Er wusste, dass er es gut machte, deshalb schickte er, als er fertig war, ein strahlendes Lächeln in die Runde und verbeugte sich.
» Nur eines meiner vielen Talente«, erklärte er, » neben dem Lesen und Schreiben von Runen, worin ich ebenso ein Meister bin wie im Verfassen von Drápa und Flokkr. Im ersteren kann ich euch mit einem Dróttkvaett und einem Lausavísa erfreuen. Beim zweiten kann ich euch mit meinem Nidvisur zu Tränen rühren.«
» Ja, ich habe tatsächlich schon Leute heulen gehört, wenn du rezitierst«, unterbrach Halfdan ihn giftig. » Sei ehrlich, die Leute hören dir doch nur wirklich zu, wenn du einen Mansongr zum Besten gibst.«
Das brachte trotz der allgemeinen Bedrückung hier und da einen Lacher, denn Gjallandis Angeberei mit den verschiedenen Formen der hohen Dichtkunst und seine Fähigkeit, eindrucksvolle Nidvisur – Schmähreden – zu verfassen, war allen bekannt, aber seine Mansongr, die zotigen Lieder, waren doch am beliebtesten.
Plötzlich wandte Krähenbein sich an Adalbert und sagte: » Illi robur et aes triplex circa pectus erat, qui fragilem truci commisit pelago ratem primus.«
Diejenigen, die sich erinnerten, wie der Priester das vor langer Zeit am Strand von Torfness gesagt hatte, stießen sich an, erstaunt über diese Gedächtnisleistung, und selbst der Priester murmelte ein Lob und hatte nichts zu korrigieren. Krähenbein strahlte.
» Tja«, sagte eine Stimme aus dem Dunkel, » wenn du jetzt die Blutaxt genauso leicht finden könntest, wie du die Christensprache lernst, wären wir dir wirklich dankbar. Weißt du überhaupt, wo sie liegt?«
» Was das betrifft«, erklärte Gjallandi, ehe Krähenbein eine bissige Antwort geben konnte, » dann hättest du diesen Samen auf Kols Hov besser zuhören sollen. Sie sprachen von der Axt und sagten, es könnte das sampo sein, das in einem Berg verborgen ist.«
» Und auch wenn ich das weiß«, sagte Onund, » dann bin ich genauso schlau wie vorher. Was soll denn das sein, ein sampo? Du kennst dich doch so gut mit Seidr aus, Krähenbein. Weißt du, was das ist?«
Krähenbein fühlte sich geschmeichelt von dem Hinweis auf seine übernatürlichen Kräfte, aber auch er musste zugeben, dass er noch nie von einem sampo gehört hatte. Er sah Gjallandi erwartungsvoll an. Der Skalde reckte sich und setzte sich am Feuer in Positur, und alles seufzte, denn man ahnte, dass jetzt wieder eine Darbietung fällig war.
Sie war lang und weitschweifig, wie alle guten Sagen, aber die Kernaussage schien zu sein, dass einst ein guter und bekannter samischer Schmied gezwungen worden war, ein sampo zu machen – ein großes Zauberwerk – als Gegenleistung für eine Braut. Das sampo wurde aber von einer Zauberin gestohlen, und in dem Kampf, es zurückzubekommen, ging es verloren.
» Aber was in aller Welt ist es?«, wollte Halfdan wissen, und er war nicht allein mit der Frage. Gjallandi zuckte die Schultern.
» Das weiß niemand«, erwiderte er. » Manche meinen, es war die Weltesche selbst, was natürlich Unsinn ist. Andere denken, es war der ewig mahlende Mühlstein, der Mehl, Salz oder Gold aus Luft macht. Andere wieder sagen, es war ein fremdartiges Instrument, das bei den Griechen oraskopéin, oder bei den Römern Horoskopus, heißt und mit dem man aus
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