Blutbahn - Palzkis sechster Fall
ich solch einen
Typen als Schwiegersohn hätte.«
Sie schüttelte sich angewidert.
»Was macht dein Kopf?«
»Dem geht’s gut. Stefanie hat die
Wunde vom gröbsten Schmutz befreit und einen schönen Verband angelegt.«
Tatsächlich, unter der Mütze, die
ich heute ausnahmsweise trug, war von der Bandage so gut wie nichts zu erkennen.
Wir fanden Gerhard und Jürgen sich
unterhaltend in Juttas Büro. Bei Gelegenheit sollte ich mal wieder in mein eigenes
Büro schauen, der Poststapel im Eingangskorb dürfte wahrscheinlich bereits zur Decke
reichen.
»Alles klar ihr beiden?«, fragte
Gerhard. »Habt ihr den Täter eingelocht?«
»Das war nicht zu erwarten, oder?
Steh auf, wir fahren zu Protzi. Äh, ich meine natürlich zu Sascha Neumann. Falls
unser Polizeireporter Becker auftauchen sollte, erzählt ihm bitte ausnahmsweise
nicht, wo wir hingefahren sind.«
»Das sagt der Richtige«, begehrte
Jutta auf. »Wer gibt hier immer die vertraulichen Informationen weiter?«
»Ausschließlich KPD«, antwortete
ich, ohne auch nur einen Hauch rot zu werden. »Bis zur Besprechung sind wir wieder
da. Hebt mir ein paar Schinkenbrötchen auf. Das Kaviarzeugs könnt ihr von mir aus
alleine futtern.«
»Wer fährt?«, fragte ich meinen
Kollegen.
»Ich natürlich«, antwortete dieser.
»Ich weiß, wo man parken darf, ohne abgeschleppt zu werden. Außerdem musst du dich
schonen. Stefanie hat vorhin angerufen und gebeten, dass wir ein Auge auf dich werfen.
Sie wird später unten am Empfang für dich einen Gemüseauflauf abgeben. Den sollst
du dir heute Mittag in der Mikrowelle warm machen.«
Er schaute grinsend zu mir rüber.
»So gut möchte ich es einmal haben. Ich habe niemanden, der sich so rührend um mich
sorgt.«
»Ach nein? Wie heißt eigentlich
deine aktuelle Bekanntschaft? Du hast lange nichts mehr erzählt.«
»Lass Jeanette aus dem Spiel, das
ist eine ganz Nette.«
Da mir im Moment nicht nach Neckereien
zumute war, verschob ich die üblichen Anspielungen auf ein anderes Mal.
Gerhard parkte auf dem offiziellen
Parkplatz vor dem Hauptbahnhof.
»Bis nach drüben sind es etwa zweihundert
Meter Fußweg. Schaffst du das?«
»Machst du Witze? Das ist doch keine
Entfernung! Das Stück lauf ich im Entengang unter einer Minute.«
Blöderweise zog Gerhard daraufhin
grinsend eine Stoppuhr aus seiner Jacke.
»Dann mach
mal, Duffy.«
Ohne auf diese
unverschämte Provokation zu reagieren, ging ich durch die Unterführung zu dem uns
reichlich bekannten Gebäude, während Gerhard mir vor sich hin lächelnd folgte. Das
Zivilfahrzeug stand noch immer neben der vorderen Eingangstür, die Besatzung hatte
gewechselt. Wir plauderten mit ihnen ein paar Worte. Dann sahen wir, wie jemand
aus dem Haus herauskam. Flink liefen wir zur Tür und drängten in das Treppenhaus.
Das Schwierigste stand mir allerdings noch bevor. Und das war die Orientierung in
dem verwinkelten Gebäude. Das letzte Mal ging Dietmar Becker zielstrebig vorne links
um die Ecke, um dann …, Mist, Sackgasse. War es vielleicht doch rechts? Hier war
zwar eine Holztreppe, doch diese kam mir nicht bekannt vor. Egal, Hauptsache es
ging nach oben. Gerhard blieb mit etwaigen Kommentaren zurückhaltend, schließlich
hatte auch er bereits nach kürzester Zeit die Orientierung verloren. Irgendwann
entdeckte ich das Türschild der Diefenbach-Galerie. Von hier aus war es nur noch
eine Treppe nach oben und tatsächlich: Wir standen vor Sascha Neumanns Tür.
Nachdem nach
mehrmaligem Klingeln niemand öffnete, meinte Gerhard mit sarkastischem Unterton:
»Soll ich mal von außen schauen, ob die Rollläden auf Halbmast stehen?«
Als Antwort trat ich mit der Schuhspitze
fest an die Tür. Dies brachte endlich die gewünschte Reaktion.
»Langsam, ich komme ja schon«, hörten
wir die gedämpfte Stimme Neumanns.
Als er uns sah, wechselte seine
Gesichtsfarbe innerhalb von Millisekunden ins Blasse. Er stand regungslos da.
»Na, wollen Sie uns nicht begrüßen,
Herr Neumann?«
Von hinten hörten wir eine Männerstimme
aus der Wohnung rufen:
»Sascha, wer ist es denn?«
Eine Sekunde später erschien am
anderen Ende des Flures Benno Schmitd, der, als er uns sah, ebenso schnell seine
Farbe änderte.
»Das ist ja eine Überraschung«,
bemerkte ich, da ich tatsächlich überrascht war. »Zwei Chamäleons in einer Wohnung.
Was hat das nur zu bedeuten? Dürfen wir eintreten?«
Ohne auf eine Antwort zu warten,
gingen wir in Neumanns Wohnung. »Sie haben uns bestimmt einiges zu
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