Blutbahn - Palzkis sechster Fall
Er war
ja keinesfalls unser gesuchter Mörder. Und dass er ein Handlanger des Teufels sein
sollte, dürfte äußerst unwahrscheinlich sein. Er war mir auf den ersten Blick unsympathisch.
Das lag nicht an seinem fast jugendlichen Alter, sondern an seinem Erscheinungsbild.
Wir hatten in unserer Dienststelle zwar gut geheizt, dass er aber mit zerrissenen
Jeans und einem schmutzigen T-Shirt dasaß, war für mich reine Provokation. Sein
Hirn schien in den Oberarmen angesiedelt zu sein. Seine Bizepse waren athletisch
gut trainiert, aber dummerweise auch mit naiven, selbst gestochenen Tattoos übersät.
Auf dem rechten Oberarm waren die Umrisse eines Bierkruges abgebildet inklusive
der darunter stehenden Erklärung ›Bier‹, auf dem linken Oberarm war es ein Trinkglas
nebst falsch geschriebenem ›Milsch‹.
Sein dreistes Grinsen zeugte entweder
von Debilismus oder von seiner Einstellung gegenüber Polizeibeamten.
»Herr Mörlich«, begann ich die Befragung
zur Person.
»Kannst ruhig Peter zu mir sagen«,
unterbrach er mich, und mein Blick fiel auf eine größere Zahnlücke.
»Herr Mörlich«, wiederholte ich,
ohne auf seinen Vorschlag einzugehen.
»Wir werden zuerst die Daten zu
Ihrer Person aufnehmen.«
»Jo, aber des steht doch alles aufm
Blatt, do.«
Das konnte
heiter werden. Ich ratterte seine Daten herunter, die ich von dem erwähnten Blatt
ablas, und wurde glücklicherweise nicht von Mister IQ unterbrochen.
Jutta beobachtete
währenddessen gebannt das Aufnahmegerät. Ich vermutete, dass sie sich sehr beherrschen
musste, um den Typ nicht übers Knie zu legen.
Als ich fertig
war, fragte ich zur Sicherheit nach.
»War alles korrekt?«
»Jo, voll korrekt, Alter.«
Die virtuelle Peitsche, die in meinen
Gedanken immer mehr Konturen annahm, stand kurz vor dem Übergang in die Realität.
»Okay, kommen wir zur Befragung
zur Sache. Erzählen Sie bitte in eigenen Worten, was Sie am letzten Samstagmittag
in der S-Bahn erlebt haben.«
»Jo, lass doch das ›bitte‹ weg.
Ich erzähl jo alles.«
Ich gab ihm mit einer Geste zu verstehen,
dass er loslegen konnte.
Er verstand die Geste. Resthirnzellen
schienen vorhanden zu sein.
»Jo, ich bin do halt mit der S-Bahn
von Germerschem gekomme und wollt nach Mannem. Ich verrot aber net, was ich dort
wollt. Auf der anner Seit war der Deifel gesesse, schon die ganze Zeit.«
Sein Dialekt, der nur in Ansätzen
pfälzisch war, war nichts Ganzes und nichts Halbes. Es war anstrengend, ihm zu folgen.
»Jo, die Bahn hot grad gehalte,
do hot der Deifel die Gabel dem Mann in die Brust gestoße und is sofort aus der
Bahn nausgerennt. Ich wollt gleich hinnenoch, aber do war schon alles voll mit Panik.
Dann bin ich halt vor zu dem Fahrer gegange und hab ihm des alles gesagt. Der is
dann noch hinne und ich bin aus der Bahn naus und ab.«
Seine Aussage deckte sich mit dem,
was wir bereits wussten.
»Jetzt erzählen Sie uns, warum Sie
abgehauen sind.«
Es war mir gelungen, die Frage ohne
›bitte‹ zu formulieren.
»Jo, ich wollt doch keinen Ärger
kriege. Ich bin doch schwarz gefahre. Wenn man do erwischt werd, kostet des gleich
ein Haufe Euros. Außerdem läuft jo noch mei Bewährung. Die wollt ich net aufs Spiel
setze.«
Erstaunt blickte ich auf die bereitliegenden
Unterlagen. Ich diskutierte leise mit Jutta, die mich bestätigte.
»Herr Mörlich, laut unseren Unterlagen
ist Ihre Bewährungszeit seit einem Dreivierteljahr abgelaufen.«
Er blickte mich fassungslos an,
was ihn noch beschränkter aussehen ließ.
»Jo, warum hot mir das niemand gsagt?«
Ohne darauf einzugehen, versuchte
ich, wenn auch ohne große Hoffnung, Näheres zu der Tat in Erfahrung zu bringen.
»Können Sie sich an den Teufel erinnern?
Hatte er irgendwelche Besonderheiten?«
»Jo, gibt’s denn verschiedene Deiwel?
Das war ein ganz normaler, schwarzer Deiwel. So normal wie du un ich.«
Jutta lachte
kurz auf, entschuldigte sich aber sofort.
»Okay, lassen
wir das. Dann wären wir mit der Vernehmung fertig, Herr Mörlich. Ging doch schnell,
oder?«
»Jo, un deswegen
hast mich von Hamburch kommen lasse? Is aber net schlimm, in Mannem is es sowieso
billicher.«
Was in Mannheim billiger als in
Hamburg sein sollte, wollte ich gar nicht so genau wissen. Hauptsache, ich würde
ihn nie mehr sehen.
Auf dem Weg ins Büro lobte mich
Jutta.
»Reiner, also
deine Beherrschung war grandios. So ruhig und gelassen hätte ich unmöglich reagieren
können. Ich habe mir die ganze Zeit vorgestellt, was wäre, wenn
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