Blutberg - Kriminalroman
Der ganze Lohn war schon vorab für Alkohol und Dope und ähnliche Vergnügen draufgegangen, wie es sich für echte Isländer um die zwanzig gehört. Aber ich bin im Knast gewesen, sogar zweimal. Spielt keine Rolle, für was«, beeilte er sich hinzuzufügen, als er Róberts Gesichtsausdruck bemerkte. »Aber keine Angst, ich hab niemanden umgebracht. Aber du siehst, trotzdem arbeite ich jetzt ganz normal hier. Dagegen kann keiner was machen, ich habe meine Strafe abgebrummt und arbeite für meinen Vater, der hier einstellen kann, wen er will. Es ist aber keineswegs sicher, ob alle so begeistert davon wären, wenn sie spitzkriegten, dass man hier scharenweise portugiesische Ganoven einfliegt, um dieses verfluchte Kraftwerk zu bauen.«
Róbert ging ein Licht auf. »Du meinst …?«
Birgir nickte. »Ja. Die meisten von ihnen sind natürlich nur normale arme Schweine, die keiner Fliege was zuleide getan haben. Doch nach dem, was ich gesehen und gehört habe, ist ungefähr jeder zehnte Portugiese hier ein ehemaliger Sträfling. Vielleicht sogar noch mehr. Ich weiß natürlich nicht, was sie auf dem Kerbholz haben, aber soweit ich weiß, deutet dieses Tattoo darauf hin, dass sie mindestens ein paar Jahre eingesessen haben. Es ist also nicht die Rede von Ladendieben oder so was. Man bekommt so ein Tattoo nicht einfach so verpasst, dafür muss man schon was Ordentliches leisten.«
»Meine Güte«, sagte Róbert, denn ihm fiel nichts anderes ein. »Das wusste ich nicht.«
»Nein. Aber die Bullen haben das offensichtlich gewusst, deswegen werden bestimmt noch ein paar mehr von diesen Typen kommen.«
Róbert zuckte zusammen. »Aber wie … wieso haben sie davon gewusst?«
Birgir zuckte die Achseln. »Die haben ihre Informationen. Die sind doch mehr oder weniger vernetzt. Global.«
»Und weil diese Leute irgendwann mal in Portugal etwas verbrochen haben, werden sie jetzt hier in diese Halle gesperrt?« Róbert war sichtlich schockiert. »Die haben ja wohl kaum alle irgendwelche Brücken in die Luft gesprengt. Das ist doch ungeheuerlich!«
»Aber genauso läuft es«, sagte Birgir, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Da passiert irgendwas, und als Allererstes kassieren die verdammten Bullen alle ein, die jemals was ausgefressen haben. Erst schnappen, dann fragen. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.«
Róbert war ebenso erstaunt wie entrüstet. »Und was ist mit uns anderen? Weshalb sind wir hier?«, fragte er kopfschüttelnd.
»Was mit dir ist, weiß ich nicht«, sagte Birgir, »aber siehst du den Grauhaarigen dort?« Er hob den kleinen Finger seiner Hand, die auf dem Oberschenkel ruhte, um auf einen schlanken, graumelierten Mann um die vierzig zu deuten, der allein in einer Ecke hockte und eine Zigarette rauchte. »Das ist Gvendur Ragg. Der hat 1992 einem Mann zum Rollstuhl und zur Dialyse verholfen und ist seit etwa fünf Jahren wieder auf freiem Fuß. Gvendur, wie gesagt, der andere sitzt immer noch im Rollstuhl. Und die da …«
Róbert folgte seinem Blick und sah zwei schmächtige, kurz geschorene junge Männer um die dreißig, die beide nervös
wirkten. »Bjarni Steina und Siggi GeEss«, sagte Birgir. »Kleinkriminelle und Junkies. Die sind praktisch schon seit der Konfirmation abwechselnd in irgendwelchen Anstalten oder im Knast.« Er zuckte die Achseln. »Mehr kenne ich hier nicht, aber das spricht wohl für sich. Wie gesagt, die haben uns hier zusammengepfercht.« Er blickte Róbert fragend an: »Aber wie du selber sagst, die Frage ist natürlich, was hast du eigentlich verbrochen?«
Auf diese Frage bekam er keine Antwort, denn Róbert dachte nämlich genau in diesem Augenblick ebenfalls darüber nach. Nicht dass er tatsächlich nach einer Antwort suchte, die hatte auf der Hand gelegen, seit er diese Lagerhalle betreten und einige von denen erkannt hatte, die sich bereits dort befanden; das Problem war, dass er sich nicht damit abfinden konnte. Nicht daran glauben konnte oder wollte , dass es wirklich stimmte.
»Ich kenne hier auch welche«, gab er nach längerem Schweigen zu. »Das heißt richtiger gesagt, ich weiß, wer sie sind. Der da auf der anderen Seite, direkt gegenüber von uns …«
Birgir blickte zu einem graubärtigen Glatzkopf hinüber, der schon weit über sechzig zu sein schien und irgendwie verloren aussah.
»Ja, der kommt mir auch bekannt vor. Ist das nicht Einar Magg? Der Schreiner?« Róbert bestätigte das. »Ich habe auch gerade überlegt, was der hier macht«, sagte Birgir,
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