Blutberg - Kriminalroman
Mütze vom Kopf und schlenderte hinüber zu den Jungs, die er aus dem Knast kannte. Er ballte die Hände in den Hosentaschen und achtete darauf, das richtige Grinsen aufzusetzen, bevor er sich unter die Gruppe mischte.
Helena war ein spirrliger Teenager, kaum einssechzig groß und eher unter fünfzig Kilo als darüber, hatte Katrín den Eindruck, dennoch war sie gut proportioniert. Ein hübsches, blondes Mädchen, das ihrem Vater überhaupt nicht ähnlich sah. Nach kurzer Unterhaltung mit dem armen Ding war Stefán zu der Ansicht gekommen, dass es besser sei, Katrín mit ihr allein zu lassen. Sie hatte Helena schweigend ins nächste Büro geführt und kein Licht gemacht. Es war zwar erst vier Uhr, doch der fahle Schein der Straßenlaterne draußen vor dem Fenster war bereits stärker als das Tageslicht.
Es war nicht schwierig gewesen, Helena zum Reden zu bringen. Ganz im Gegenteil, es hatte eher den Anschein, als habe sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, jemandem das
anzuvertrauen, was auf ihr lastete. Katrín bekam mehr als einmal eine Gänsehaut, während sie dem schniefenden Mädchen zuhörte, das zusammengekrümmt und bemitleidenswert vor ihr saß und sich alles von der Seele redete.
Vor drei Monaten war Helena in einer Disko in Egilsstaðir von einem Mann angesprochen worden. Er sah gut aus und war elegant gekleidet. Bestimmt aus Reykjavík, hatte sie gedacht. Ein bisschen alt vielleicht, aber doch nicht so, er war irgendwie cool. Sie hatte nichts gegen ältere Männer, erklärte sie, die waren oft viel cooler als die dämlichen Jungs, die sie kannte. Sie hatten sich unterhalten, getanzt und getrunken, er spendierte ein Glas nach dem anderen. Und ja, sie war zum Schluss mit ihm auf sein Hotelzimmer gegangen. Sie musste sich einschleichen, um nicht vom Nachtportier gesehen zu werden, denn der kannte sie. Und am nächsten Morgen musste sie sich hinausschleichen, denn die Frau an der Rezeption kannte sie auch. Danach hatten sie sich häufiger getroffen. Sie wusste, dass er verheiratet war und keinerlei Interesse an einer festen Beziehung hatte, das hatte er ihr ziemlich bald klargemacht, doch das war ihr egal. Er war nett zu ihr, bei ihm gab es immer genug zu trinken, klasse Rotwein und Weißwein und so was, und auch Dope. Nicht Hasch oder Schnee oder Speed oder solches illegale Zeugs, sondern irgendwelche Pillen aus der Apotheke und völlig legal, aber die wirkten trotzdem super. Kurz vor Weihnachten, bevor er über die Feiertage nach Reykjavík fuhr, hatte er zum ersten Mal seinen Freund dabei.
»Seinen Freund?«
»Ja.«
Sie hatte nichts dagegen gehabt. Genauso wenig wie gegen die Freundin, Analverkehr, masochistische Praktiken, Videoaufnahmen oder anderes, was er vorgeschlagen hatte, Das hatte sie alles schon mal irgendwo gesehen und zum Teil
auch gemacht. Bloß nicht gegen Bezahlung, jedenfalls nicht in Form von Bargeld.
»Das war einfach so ähnlich wie in diesen Filmen, verstehst du, du weißt, was da in solchen Filmen abgeht. Und genauso auf den Partys, kapierst du?« Katrín wusste es nicht, ließ es aber dabei bewenden, trotz ihrer Verständnislosigkeit verständnisvoll zu nicken. Natürlich hatte sie von solchen Dingen gehört, und zwar nicht nur einmal, sondern mehrfach. Hatte von jugendlichen Zusammenkünften gehört, wo ältere Jungs kleine Mädchen mit dem Versprechen auf eine wilde Party anlockten, mit reichlich Alkohol und noch Potenterem, und als Gegenleistung Oralverkehr verlangten. Oder noch mehr. Sie hatte das nie richtig glauben wollen, auch wenn sie wegen ihres ungewöhnlichen und meist unerquicklichen Berufsalltags einiges gewohnt war. In der Arbeit hörte sie immer wieder haarsträubende Geschichten, und Katrín hatte sich damit begnügt, solche Geschichten entsprechend einzuordnen. Vielleicht hatte sie es sich zu einfach gemacht, denn jetzt saß dieses halbe Kind vor ihr und erzählte ihr, zwar stammelnd und schniefend und doch irgendwie abgebrüht, genau von solchen Zusammenkünften. Und das in Egilsstaðir, von allen Orten der Welt. Verschlimmert wurde das Ganze noch durch die Tatsache, dass dieses arme Geschöpf überhaupt keinen Begriff von der Erniedrigung hatte, die das für sie bedeutete. Für sie war es einfach so. Punkt. Trotzdem schien sie aber mit ihrer neuen Rolle nicht ausgesöhnt zu sein. Nicht völlig überzeugt, dass es selbstverständlich war, sich zu verkaufen. Immerhin das, dachte Katrín, immerhin das.
»Aber so ist es doch«, schluchzte Helena in krassem
Weitere Kostenlose Bücher