Blutberg - Kriminalroman
heißen Dusche zitterte Árni kaum noch, und nach weiteren fünf Minuten fühlte er sich wieder einigermaßen warm. Er rubbelte sich energisch ab und zog sich die Sachen an, die er zum Wechseln mitgenommen hatte. Dünne Unterwäsche, dünne Socken und ein dünnes Hemd, alles aus Baumwolle, und Jeans. Was hab ich mir eigentlich dabei gedacht, ging es ihm durch den Kopf, ich hätte doch wissen müssen, wohin ich fahre. Die Vorstellung, wieder in die Kälte und den Schnee hinauszumüssen, war alles andere als attraktiv. Aber er hatte keine andere Wahl, wenn er sich anständige Unterwäsche beschaffen wollte, die vor ihm noch niemand getragen hatte. Er griff nach seiner Brieftasche und ging hinaus auf den Korridor.
Beim Eingang warteten Wollsocken, ein Winteroverall, Arbeitsstiefel, Mütze und Handschuhe auf ihn, und das Wohlwollen, mit dem Árni jetzt an den Koch dachte, war erheblich größer als jenes, das er ihm bislang für seine Kochkünste entgegenbringen konnte. Sogar der Klippfisch hatte Árnis Erwartungen bei weitem übertroffen, wahrscheinlich war das sogar das beste Essen, das er bislang bei ihm bekommen hatte. Und zweifellos das Gesündeste.
Der knisternde Overall war zwar viel zu groß und weder neu noch sauber, doch Árni war trotzdem froh, sich damit ausstaffieren zu können. Er war nicht orangefarben, sondern dunkelblau, und das war ein enormes Plus. Keiner von den Sträflingen also, dachte Árni, sondern der Gefängnisaufseher. Die grau gesprenkelten Socken waren sauber und passten einigermaßen, die Schuhe hingegen waren wie der Overall etwas reichlich bemessen, und die Stahlkappen sahen ziemlich ramponiert aus. Im Gegensatz zu seinen eigenen Schuhen, die da auf dem Fußboden auftauten, waren sie aber trocken, wasserdicht, gut isoliert und frei von unangenehmem Geruch. Als Nächstes kamen die violetten Handschuhe, die sonnengelbe Mütze und der Helm. Musste er wirklich einen Helm aufsetzen? Guðni trug keinen … Árni stülpte sich den weißen Helm über, blickte sich um, sah aber keinen Spiegel. Im Grunde genommen brauchte er auch gar keinen, er wusste ganz genau, dass er grotesk aussah. Die Außentür wurde aufgerissen, und Guðni fegte mit dem Sturm auf den Fersen herein. Er schlug die Tür hinter sich zu und trat sich den Schnee von den Füßen ab.
»Was meinst du, Guðni, ist das nicht ein schickes Outfit? Wollen wir heute einen draufmachen?«
»Schnauze«, knurrte Guðni.
»Sie behauptet, dass sie nur für Botengänge und Raumpflege zuständig war«, sagte Steinþór. »Das, was das Mädel anhat, kann man aber wohl kaum als Putzkleidung bezeichnen. Die könnte direkt aus einem von diesen Videoclips entsprungen sein, die man heutzutage dauernd sieht. Oder letzten Endes auch aus einer Pornozeitschrift. Dick angemalt, und das an einem Dienstagvormittag.«
»Das muss nicht unbedingt etwas zu bedeuten haben«, widersprach Stefán. »Du weißt ja, die Mode.«
Steinþór nickte. »Ja, ja, das stimmt natürlich. Schon zehn, zwölf Jahre alte Gören donnern sich auf wie Nutten …«
»Ach, meine Herren, nun habt euch nicht so«, sagte Katrín genervt. »Wenn man euch so hört, fühlt man sich an irgendwelche unverbesserlichen alten Knacker aus dem Bibelgürtel erinnert. Wo ist das Mädchen?«
»Und wo befindet sich dieser Bibelgürtel?«, fragte Steinþór zurück, genauso genervt.
»In Amerika«, antwortete Stefán prompt und warf Katrín ein verschmitztes Lächeln zu. »Ja, ja. Wir sind wahrscheinlich unverbesserliche alte Knacker, ganz sicher.« Er stand auf. »Was sagst du, wohin habt ihr sie gebracht?«
Steinþór bedeutete ihm, sich wieder zu setzen. »Sie ist immer noch im Auto, Auðunn ist bei ihr. Ist es nicht am besten, wenn wir sie hier ins Büro bringen?«, sagte er und murmelte etwas vor sich hin, während er hinausstiefelte. Katrín hörte es zwar nur undeutlich, verstand aber trotzdem.
»Scheint sauer zu sein, der Typ«, sagte sie.
Stefán grunzte zustimmend. »Ja, er ist ja auch in keiner beneidenswerten Situation, der arme Kerl. Ist ja vielleicht auch nachvollziehbar, dass er sauer ist. Erst dieser Bergsturz, und deswegen werden wir ihm vor die Nase gesetzt. Als Nächstes die Brücke, und dann fällt das SEK ein. Beides brisante Fälle, die in seinem Zuständigkeitsbereich passieren, aber er wird gar nicht rangelassen. Und dann stellt sich das mit der Prostitution heraus, endlich etwas, womit er und seine Leute sich selber befassen dürfen, und er greift ins Leere und
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