Blutberg - Kriminalroman
nach und wartete, bis es um die Ecke gebogen war.
»Pack«, lallte er. »Verdammtes blödes Langweilerpack.« Dann schwankte er zur Hverfisgata, wo er ein Taxi anhielt und sich nach Hause fahren ließ. Nach einer Dreiviertelstunde und zwei Bieren war er eingeschlafen, er saß mit runtergelassener Hose im Fernsehsessel und verpasste infolgedessen die Szene, als die Blondine mit den blauen Augen und dem Schmetterlingstattoo auf der rechten Brust so tat, als würde sie den vierten Samenerguss, der ihr ins Gesicht spritzte, genießen, wimmernd vor schlecht bezahlter und schlecht gespielter Lust.
Ásmundur saß lange reglos in seinem kleinen Apartment am Schreibtisch und versuchte, seine Gedanken zu ordnen, bevor er sich daranmachte, sie niederzuschreiben. Er benutzte einen gelben Bleistiftstummel, kaum länger als sieben Zentimeter,
doch der rosa Radiergummi an seinem Ende war so gut wie unbenutzt. Seine Bleistifte waren nie länger als acht Zentimeter, und es war schon vorgekommen, dass jemand ihn im Spaß gefragt hatte, ob er neue Bleistifte auf diese Länge herunterspitzte, bevor er sie in Gebrauch nahm. Er sagte immer ja, wenn ihm diese Frage gestellt wurde, doch aus irgendwelchen Gründen schienen ihm die Leute meist nicht zu glauben und lachten nur verlegen, als hätte er einen nicht sehr gelungenen Witz gemacht. So etwas war natür lich als Spleen einzustufen, der Meinung war zumindest seine Frau, aber ihm ging es einfach darum, dass die Bleistifte besser in die Taschen passten, wenn sie kürzer waren, und er fand nichts dabei, sich einen solchen Spleen zu leisten. Bleistifte waren ja schließlich keine Mangelware. Meist nahm er sich eine neue Schachtel mit einem ganzen Dutzend komplett vor, um ausreichend Vorräte zu haben, und dann musste er die durchsichtige Plastiklade unter dem Anspitzer mindestens viermal leeren, bevor der letzte auf die richtige Länge gebracht worden war.
In dieser Nacht schrieb Ásmundur noch langsamer als gewöhnlich, jedes Wort bekam die Zeit, die es brauchte, bevor es zu Papier gebracht wurde, und nichts wurde ausradiert. Viermal musste er beim Schreiben eine Pause machen, um anzuspitzen, und der Stummel inklusive Radiergummi war nur noch drei Zentimeter lang, als er den Punkt hinter den letzten Satz auf der siebenten und letzten Seite setzte. Zur Sicherheit las er das, was er geschrieben hatte, noch einmal durch, bevor er seine Anfangsbuchstaben daruntersetzte. Dann faltete er die Blätter zusammen und steckte sie in einen Umschlag. Er überlegte, ob er ihn an Matthías oder irgendjemand anderen adressieren sollte, kam aber zu dem Schluss, dass es gleichgültig war, wer ihn öffnete, und ließ ihn unbeschriftet auf dem ordentlich aufgeräumten Schreibtisch liegen.
Als er die Vorhänge am Fenster zugezogen, sich rasiert und die Zähne geputzt hatte, zog er sich sein hellblaues Hemd, die dunkelblaue Hose und seine besten Schuhe an und kämmte sich. Danach holte er die dunkelblaue Seidenkrawatte mit den roten und weißen Streifen aus dem Schrank, die ihm seine Frau voriges Jahr in London geschenkt hatte, wickelte die Enden um die Hände und ruckte kräftig daran. Das war ein qualitativ hochwertiger Schlips, unerhört stark. Damit könnte man bestimmt einen Elefanten aufknüpfen, dachte Ásmundur und lächelte matt, während er wieder zum Kleiderschrank ging und mit aller Kraft an der Stange zog. Die würde keinen Elefanten aushalten, glaubte er, aber ihn schon.
3
Sonntag
Auszuschlafen war eine Fähigkeit, die Stefán sich nie hatte antrainieren können, obwohl er es oft genug versucht hatte. Zwischendurch konnte er wann und wo auch immer ein kurzes Nickerchen halten, wenn ihm danach zumute war, aber nicht am frühen Morgen. Er wachte um halb acht auf, egal, was vorausgegangen war, und konnte frühestens drei Stunden später wieder einschlafen. Er hatte sich gerade die dritte Tasse Kaffee eingegossen und Zucker hineingegeben, als Ragnhildur in die Küche kam und sich zu ihm an den Tisch setzte. Sie war nicht schlafbehindert.
»Guten Morgen«, sagte sie. Stefán brummte. »Ist da noch etwas Kaffee übrig, oder hast du ihn ausgetrunken?« Stefán brummte wieder. Sie stand auf, verpasste ihm einen Kuss auf den verstrubbelten Kopf und holte sich eine Tasse aus dem Schrank. »Das Wetter will und will nicht besser werden«, sagte sie und schüttelte die Thermoskanne, in der es gluckerte. Stefán brummte. »Meinst du nicht, dass du bald genug gerührt hast?«, fragte sie belustigt.
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