Blutberg - Kriminalroman
an diesem Abend an seinem Tisch vor ihm hinpflanzte.
Viktors Genervtheit wich jedoch relativ schnell Verwunderung, dann Unglauben und zum Schluss Empörung, als er begriff, was der ungebetene Gast von ihm wollte.
»Du bist also der neue Arzt hier oben?«, hatte Björn nach einigen allgemeinen und belanglosen Floskeln über das Wetter, den Straßenzustand und Fußball gefragt. Viktor hatte das so kurz angebunden, wie es im Rahmen allgemeiner Höflichkeit möglich war, bestätigt und gleichzeitig deutlich zu verstehen gegeben, dass er am liebsten mit seinem Kreuzworträtsel und dem Pudding in Ruhe gelassen werden wollte. Aber das hatte nichts genutzt.
»Ich bräuchte jemanden, der mir hilft«, war Björn unbeirrt fortgefahren. Viktor hatte ihn angesehen und gefragt, ob er krank sei, aber Björn hatte nur den Kopf geschüttelt. »Ich meine nicht solche Hilfe«, sagte er. »Das hier bleibt unter uns, okay?« Viktor hatte zwar zögernd, aber zustimmend genickt. »Gut«, hatte Björn daraufhin geantwortet und dabei die Stimme gesenkt. »Ich hab hier so ein kleines Business am Laufen, und zwar ein etwas kitzliges, wenn du verstehst, was ich meine. Und jetzt schwebt mir vor - wie soll ich das ausdrücken -, so etwas wie einen Vertrauensarzt in das Unternehmen hineinzuholen. Das ist angesichts der Lage der Dinge hier oben notwendig geworden. Und ich glaube, das könnte ein prima Deal für mich und den Arzt werden, der das übernimmt, wer auch immer es ist …«
Viktor hatte sofort protestiert und dem Mann gesagt, dass er mit dem verkehrten Arzt sprach. Er war aufgestanden und hatte Anstalten gemacht zu gehen, obwohl ihm das eigentlich sehr gegen den Strich ging, doch der Mann hinderte ihn daran und ließ sich in gedämpften Tönen, aber sehr eindringlich darüber aus, dass sein Service-Angebot durchaus Ähnlichkeit
mit dem von Ärzten, Psychologen und Psychiatern aufwies. »Laufen wird das ohnehin«, sagte er, »die Nachfrage ist vorhanden, und sie wird auch nicht verschwinden. Wäre es insofern nicht für alle Beteiligten besser, wenn ein richtiger Arzt daran beteiligt ist?« Zu dem Zeitpunkt war Viktor bereits richtig wütend, die Dreistigkeit des Mannes war unfassbar. Björn hatte ihm dann präzise und überzeugend die Profitmöglichkeiten aufgelistet, die in diesem Angebot steckten. Doch Viktor hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, an wen er sich wenden würde, falls das Gespräch in diese Richtung weiterlief. Sein Gegenüber hatte nur gegrinst und ihm gesagt, er solle sich die Sache doch noch einmal durch den Kopf gehen lassen, und war dann hinausgegangen.
Normalerweise besprach Viktor seine sämtlichen privaten Probleme mit seiner Frau und die fachlichen mit seinem besten Freund aus der Studienzeit. Er hatte beide um Rat gefragt, bevor er sich entschloss, die Stelle in Kárahnjúkar anzunehmen. In dieser Situation kam es allerdings nicht in Frage, die beiden zurate zu ziehen, und außerdem wusste er nur zu gut, wie die Antworten ausfallen würden. Seine Frau würde ihn fragen, ob er übergeschnappt sei, und sein Freund, ob er sich denn nicht umgehend mit der Polizei in Verbindung gesetzt habe. Ebenso war ihm klar, dass diese Reaktionen nicht nur normal, sondern auch die einzig richtigen waren, er hatte ja schließlich den Mann auch achtkantig rauswerfen wollen. Deswegen begriff er absolut nicht, wieso er diesen inneren Zwiespalt verspürte, wo doch eigentlich klar auf der Hand lag, was er zu tun hatte. Trotzdem.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Viktor sich für einen ordentlichen Arzt und einen anständigen Menschen gehalten. Er war vielleicht kein besonders unterhaltsamer Zeitgenosse, aber in seiner Arbeit verantwortungsbewusst und gewissenhaft und im Großen und Ganzen ein wohlmeinender Mensch.
Und keineswegs geldgierig. Er hatte sich eine solide Existenz geschaffen, und das, was ihm für diese Arbeit gezahlt wurde, reichte mehr als aus, um sich und die Seinen zu ernähren. Er konnte sich nicht vormachen, dass er mehr brauchte. Trotzdem. Die Summen, die in dem Gespräch, das eigentlich gar nicht stattgefunden hatte, genannt wurden, waren derart, dass selbst er mit sich zu Rate gehen musste. Das war nichts Unnatürliches, oder? Und die Argumente, die Björn angeführt hatte, waren gar nicht einmal so abwegig, wenn man es recht betrachtete …
Er war Björn aus dem Weg gegangen, solange er sich mit diesen Überlegungen herumschlug, doch am dritten Tag nickte er ihm während des Abendessens unauffällig zu. Noch
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