Blutberg - Kriminalroman
Aufgabe ist es schlicht und ergreifend herauszufinden, wie es dazu kam, und bis sich etwas anderes herausstellt, gehen wir davon aus, dass es kein Unfall gewesen ist. Und dann erhebt sich natürlich die Frage, wer umgebracht werden sollte und weshalb, um euch mal wieder an die Grundsätze zu erinnern.«
8
Sonntag/Montag
»Ich habe dir bei unserem gestrigen Telefonat alles gesagt, was ich weiß«, erklärte Matthías und klang wütender als beabsichtigt. »Und als du heute hier warst, habe ich das alles noch einmal wiederholt. Mehr kann ich dazu einfach nicht sagen. Wende dich an die Polizei.« Er brach das Gespräch ab und schaltete sein Handy aus. »Wegen dieser verdammten Zeitungsfritzen kommt man überhaupt nicht zum Arbeiten.«
Er und Lárus saßen in der leeren Kantine des NPC-Camps, schlürften Kaffee, der nicht einmal einem Meerschweinchen schlaflose Nächte bereiten könnte, und knabberten an zuckersüßen Biskuitschnitten. Lárus war erst vor einem Jahr vom Studium in Deutschland zurückgekehrt, ihm fehlten sechs Monate bis zum dreißigsten und genauso viele, um es auf ein Jahr Berufserfahrung zu bringen. Nichtsdestotrotz war er die Selbstsicherheit in Person, wie so viele andere mit seinem Hintergrund und seinem Aussehen; groß, blond, mit wasserblauen Augen und einer Kerbe in dem kantigen Kinn unter der scharfen Nase; seine schmalen Lippen hatten die Muttermilch aus einem silbernen Löffel aufgeleckt. »Wer war das?«, fragte er teilnahmslos. »Was wollte er?« Nachdem Ásmundur
sich erhängt hatte und Björn, der Nächste in der Hackordnung, bei dem Erdrutsch den Tod gefunden hatte, war er nunmehr der leitende Sicherheitsbeauftragte der National Power Company, auf jeden Fall bis jemand anderes diesen Posten erhielt, und er hatte nicht das Geringste dagegen.
»Sie«, schnaubte Matthías, »diese Tussi von Morgunblaðið . Die wollte dasselbe wie der Typ von Fréttablaðið und dieses Jüngelchen von DV . Und die Leute vom Fernsehen und alle die anderen. Überall geistert es jetzt herum, dass das ein Mord war. Zwar weiß niemand etwas, aber alle sind überzeugt davon, dass es sich um Mord handelt. Richtiger gesagt, mehrfachen Mord, und es hat durchaus den Anschein, als ob alle das großartig finden. Was ist eigentlich mit denen los? Und woher bekommen sie diese Informationen?« Abgesehen von den roten Augen und den dunklen Ringen darunter war Matthías leichenblass. Er war zwar einigermaßen fit, doch der Stress und die Schlaflosigkeit der letzten achtundvierzig Stunden forderten ihren Tribut. Lárus war wesentlich besser in Form, er war allerdings auch fünfzehn Jahre jünger und hatte sich zudem in der Nacht etwas aufs Ohr legen können.
»Hier oben sind über tausend Menschen«, entgegnete er achselzuckend. »Da kann jeder x-Beliebige sich mit den Zeitungen in Verbindung gesetzt haben. Oder mit jemand anderem und der hat sich dann an die Medien gewandt. Vielleicht hat auch der Portugiese im Krankenhaus nicht nur mit der Polizei gesprochen. Das spielt doch keine Rolle.«
»Spielt keine Rolle?«, fauchte Matthías. »Das spielt keine Rolle? Willst du mir etwa sagen, dass es keine Rolle spielt, wenn irgendjemand Gerüchte über geplante Morde hier bei uns in die Welt setzt?« Seine Augen schienen vor Wut aus dem Kopf springen zu wollen.
Lárus beeilte sich, das Missverständnis zu klären. »Ich meine doch nur, es spielt keine Rolle, wer diese Geschichten
in die Welt gesetzt hat«, sagte er rasch. »Wichtig ist nur, dass sie in Umlauf sind und dass sie ein Ende haben müssen. Aber das ist nicht unsere Aufgabe.« Da Matthías nicht völlig überzeugt zu sein schien, fuhr Lárus fort: »Die Leute vom Amt für Arbeitsschutz sind da, die Polizei ebenfalls, und die Kriminalpolizei ist unterwegs. Die einzige Möglichkeit, die Sache aufzuklären, besteht darin, diese Leute ihre Arbeit tun zu lassen und ihnen nach Kräften behilflich zu sein. Je eher das ins Reine gebracht wird, desto besser, das weißt du genauso gut wie ich, Matthías. Du hast es doch auch selber gesagt, erinnerst du dich nicht?«
Müde nickend massierte Matthías sich das unrasierte Kinn und sackte auf seinem Stuhl zusammen. »Ja doch, ich erinnere mich.« Er schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch, bevor er sie wieder öffnete. »Ich kann nicht mehr. Ich kann einfach nicht mehr, ich muss mich hinlegen«, sagte er und stand auf. »Du weckst mich, falls irgendetwas passiert, das heißt, wenn ich überhaupt einschlafen
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