Blutberg - Kriminalroman
aus, zumindest einstweilen, die Situation ist ja sowieso schon schlimm genug.«
»Von was für geologischen Untersuchungen redet er da eigentlich?«, fragte Árni.
»Weiß ich nicht«, antwortete Stefán achselzuckend. »Aber es hat vermutlich etwas mit dieser Verwerfung zu tun, die er da erwähnt, was auch immer das sein mag. Und wenn das Ding - also diese Verwerfung - direkt unter dem Berggrat war, dann liegt es doch eigentlich auf der Hand, dass diese Leute sich das genau ansehen wollten, als der Bergsturz herunterkrachte. Doch das gehört natürlich zu all dem, was wir genauer unter die Lupe nehmen müssen, wenn wir erst mal an Ort und Stelle sind.«
»Mit anderen Worten, wir haben hier eine Liste von sieben Leuten«, sagte Katrín und zählte an ihren Fingern ab. »Sechsvon ihnen sind umgekommen, und einer hat überlebt. Bis
jetzt sagt uns diese Liste so gut wie nichts. Uns liegt ein Bericht von zwei Kollegen vor, die kaum Englisch können, über die Aussage eines Mannes, der noch weniger Englisch kann, und das, was er gesagt hat, stammt von einem Schwerverletzten, der womöglich im Fieberwahn war. Der hat also angeblich direkt oberhalb eine Explosion gehört, bevor der Bergsturz niederging, und das passiert in einem Sperrgebiet. Und außerdem liegt uns ein Brief von einem anderen Mann vor, einem Experten, der sich auf diese Dinge verstehen sollte und der davon ausging, dass an dieser Stelle eigentlich kaum die Gefahr eines Bergsturzes bestand, auch wenn andere da anderer Meinung waren. Ein Abschiedsbrief zwar, von einem Mann, der die Verantwortung von sich abwälzen möchte, aber trotzdem ziemlich überzeugend, zumindest auf den ersten Blick.« Sie sah ihre Kollegen einen nach dem anderen an, um sich zu vergewissern, dass sie ihrer Argumentation folgten, bevor sie fortfuhr. »Und dann haben wir noch diese grotesken Briefe an die National Power Company, von irgendwelchen Idioten, die sich die Grüne Armee nennen und nicht näher bezeichnete Maßnahmen am achtundzwanzigsten Februar androhen, mit anderen Worten morgen, wenn nicht bis dahin die Arbeit komplett eingestellt wird. Hinzu kommt der Bergsturz, sechs Tote und ein Überlebender auf der Intensivstation. Und natürlich der Selbstmord. Und daraus lesen unsere Intelligenzbestien im dritten Stock und an der Skúlagata und im Ministerium etwas, wonach sie sich schon lange gesehnt haben, nämlich einen richtigen Terroranschlag auf Island. Und dass die Grünen die Bösen sind, passt natürlich hervorragend in das Weltbild dieser Herren. Und Damen, wir dürfen ja die liebe Wirtschaftsministerin nicht vergessen.«
»Wenn ich ehrlich sein soll, ist dieses Kraftwerk für mich der schlimmste Terroranschlag, aber das ist eine andere Sache.«
»Was soll das denn jetzt auf einmal«, fiel ihr Guðni wütend und schockiert ins Wort. »Das Kraftwerk ein Terroranschlag? Du bist wohl unter die verfluchten Kommunisten gegangen? Was gibt es denn überhaupt da oben in Kárahnjúkar? Was ist denn da so Besonderes? Das kann ich dir sagen: gar nichts, rein gar nichts, verdammt noch mal.« Er schüttelte den Kopf. »Wer hat sich denn schon in diese gottverlassene Gegend verirrt, bevor sie mit dem Bau des Kraftwerks angefangen haben? Kein Schwanz. Der eine oder andere Rucksacktourist vielleicht, der sich von Teebeuteln und Ginseng ernährt. Und jetzt soll das auf einmal ein richtiges Naturparadies sein, das uns Milliarden einbringen wird, wenn wir es in Ruhe lassen? Come on . Meinethalben können die da ruhig alles versenken. Holy shit , diese Naturschützerbagage werde ich nie begreifen«, schnaubte er. »Verwendest du vielleicht keinen Strom? Trinkst du vielleicht nicht aus Aluminiumdosen?« Er starrte Katrín herausfordernd an und hatte es offensichtlich auf einen Streit angelegt. Katrín wich seinem Blick nicht aus und überlegte, ob das wieder einmal ein Versuch von Guðni war, durch Zoff ein bisschen Leben in die Bude zu bringen, wenn er genau die entgegengesetzte Meinung zu seinen Kollegen vertrat. Sie kam aber zu ihrem Erstaunen zu dem Schluss, dass er dieses Mal keinen Streit vom Zaun brechen wollte, sondern tatsächlich seine innerste Überzeugung zum Ausdruck brachte.
Es überraschte sie im Grunde nicht, dass Guðni für dieses Kraftwerk war, nachdem er sich einmal eine Meinung gebildet hatte. Aber dass er generell eine Überzeugung in einer strittigen politischen Frage hatte, die ihn nicht direkt berührte, und darüber hinaus anscheinend bereit war, dafür auf die
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