Blutberg - Kriminalroman
Barrikaden zu gehen - das hatte Katrín nie zuvor erlebt. Stefán und Árni schienen über Guðnis Reaktion genauso erstaunt zu sein wie sie, sagten aber keinen Ton, sondern warteten gespannt
auf die Fortsetzung. Zu ihrer Enttäuschung schüttelte Katrín aber nur den Kopf, denn sie war entschlossen, sich diesmal nicht auf einen Streit einzulassen.
»Wie gesagt, das ist eine ganz andere Sache«, erklärte sie ruhig. »Wir können uns später darüber streiten, wenn du möchtest. Ich habe nur versucht zu sagen, für wie unwahrscheinlich ich es halte, dass es hier um einen Terroranschlag geht. Meiner Meinung nach war es ein schrecklicher Unfall - oder im schlimmsten Fall ein sträfliches Versäumnis. Seht ihr das nicht auch so?«
Árni druckste ein wenig herum, aber nicht lange. »Ja«, sagte er, »das sehe ich auch so, glaube ich.«
»Ich sehe gar nichts, nur bullshit «, sagte Guðni. Er war immer noch gereizt und wusste nicht, was ihn mehr ärgerte, dass er in diesem Punkt einer Meinung mit Katrín war, oder dass er keine Gelegenheit bekam, sich in Sachen Kraftwerk ordentlich mit ihr zu fetzen. Alle sahen Stefán an, der den Kopf schüttelte.
»Genau wie ihr gestatte ich mir, meine Zweifel daran zu haben, dass wir es hier mit einem Terrorakt zu tun haben«, erklärte er nachdenklich. »Und ich glaube auch, dass die Grüne Armee kaum mehr ist als das Hirngespinst irgendeines Umweltfanatikers oder irgendwelcher Gymnasiasten mit makabrem Humor. Natürlich gibt es Umweltschützer, und zwar auch hierzulande, die man auf einer bestimmten Skala als Fanatiker einstufen könnte, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass sie so weit gehen würden, Menschen für ihre Ziele umzubringen.«
»Und wieso das?«, knurrte Guðni. »Den verdammten katholischen Kinderschändern in Amerika hat man auch nichts Böses zugetraut. Und war da nicht neulich etwas in den Nachrichten, dass griechische Pfaffen und Richter in großem Stil Rauschgift ins Land schmuggeln? Damit hatten die Griechen
wohl auch nicht gerechnet, oder was? Eine Verschwörung an den höchsten Stellen, Krankenschwestern und Ärzte, die ihre Patienten umbringen, Hollywood-Stars, die diesen und jenen umbringen, und Popstars, die sich an kleinen Jungs vergehen - es gibt doch endlos und überall Beispiele. Weshalb sollten diese Grünen eine Ausnahme bilden? Solange die Wale und die Gänse und die Blumen es gut haben, ist denen doch alles andere scheißegal. Menschen sind doch nur Nebensache.«
Stefán hob eine Pranke, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Ja, ja, ich weiß, spar dir deine Worte. Aber es fällt mir trotzdem sehr schwer, mir isländische Grüne in dieser Rolle vorzustellen. Und falls sich irgendwelche ausländischen Umweltterroristen hier in Island herumtreiben würden, hätten wir selbstverständlich davon erfahren. Doch das bedeutet keineswegs, dass unser Einsatz hier völlig verfehlt ist.«
Er zögerte. Etwas war seltsam bei diesem Unfall, davon war er überzeugt. Er war zwar genau wie viele andere Isländer in dem Glauben aufgewachsen, dass Ingenieure am allerwenigsten Bescheid wussten, wenn es um die praktische Realisierung von was für Bauprojekten auch immer ging. Aber in den letzten Jahren war er doch mehr und mehr zu der Überzeugung gekommen, dass sie manchmal auch etwas von dem verstanden, was sie sagten und in Angriff nahmen. Der Kontakt zwischen ihm und Ásmundur Arason war so gut wie völlig abgebrochen, seit sie vor fündunddreißig Jahren in Akureyri das Abitur bestanden hatten. Doch auf dem Gymnasium waren sie gute Freunde gewesen, und dem Ásmundur von damals hatte es weder an Verstand noch Tatkraft gefehlt. Und außerdem hatte Stefán es am Magen gehabt, seit ihm die ersten Nachrichten von dem Unglück zu Ohren gekommen waren. Der Kater mochte vielleicht eine Erklärung dafür sein, dass er sich heute schlechter als gestern fühlte, aber das allein konnte es nicht sein. Stefán hatte es schon lange gelernt, auf
seinen Magen zu hören. Er wusste nicht genau, warum, denn die Erfahrung hatte wiederholt gezeigt und bewiesen, dass die prophetische Gabe dieses Organs vielleicht sogar noch geringer war als die der Wetterfrösche beim Wetteramt. Trotzdem vertraute er weiterhin diesen beiden Institutionen. Er war sich allerdings nicht sicher, ob seine Mitarbeiter ebenfalls dazu bereit waren.
»Auf jeden Fall spielt das keine so große Rolle«, fuhr er schließlich fort. »Wie du gesagt hast, Katrín, sechs Menschen sind ums Leben gekommen. Unsere
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