Blutbraut
nicht mehr zu diesem Treffen erscheinen würde.
Als sein Handy keine halbe Minute später mit Luis’ Nummer im Display aufsummte, schaltete er es endgültig aus. Einen Moment starrte er blind auf die draußen vorbeihuschende Landschaft, dann zog er sich eine weitere Mappe von dem Stapel neben sich auf der Rückbank heran und versuchte sich darauf zu konzentrieren, was da in der verschnörkelten Handschrift seines Sicherheitschefs stand. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab.
Etwas in ihm zog sich bei dem Anblick zusammen, der sich ihm bot, als sie Santa Reyada einige Zeit später erreichten. Die Haustür
stand sperrangelweit offen. Joaquín hatte den Schlag aufgerissen und stieg aus, noch bevor der Wagen richtig hielt. Rafael erschien im Eingang, kam ihm die Treppe herunter entgegen.
»Was ist passiert?«
»Sie ist weg!«
Das Etwas in ihm wurde eiskalt. »Weg? Was …«
»Ich kann sie auch im Garten …« Cris bog um die Hecken, die die Stufen flankierten, und prallte abrupt zurück, als er seinen Bruder sah.
»Weg?« Gefährlich langsam ging Joaquín auf ihn zu. An Cris’ Kehle zuckte es, als er hart schluckte. Er machte einen Schritt rückwärts, stieß mit der Schulter gegen die Hecke.
»Joaquín …«, setzte er an.
»Weg?«, wiederholte Joaquín drohend. Er widerstand nur schwer dem Drang, seinem Bruder die Nägel in den Hals zu graben und zuzudrücken. »Du hast keine Skrupel, mit dem Mädchen ins Bett zu steigen, das mir gehört, aber du bist nicht dazu in der Lage, dafür zu sorgen, dass sie an einem Ort bleibt, an dem sie sicher ist …«
»Ich bin nicht …«
»Ach? Und Rafael hatte Halluzinationen? Er hat gesehen, wie du ihr die Zunge in den Hals gesteckt hast.« Angewidert versetzte er Cris einen Stoß vor die Brust, der den weiter zurück-und in die Hecke taumeln ließ. »Ich will mich endlich auch mal auf dich verlassen können, Cristóbal, und nicht immer nur deinen Arsch retten müssen. Du kotzt mich an!« Sein Bruder biss die Zähne zusammen, sagte aber nichts. Brüsk wandte er sich von ihm ab, Rafael zu. »Wie lange ist sie schon weg?«
Der zuckte die Schultern. »Als ich herüberkam, war sie schon nicht mehr in ihrem Zimmer. Das war vor einer guten halben
Stunde. Ich habe versucht, dich zu erreichen, aber dein Handy war aus … Wir haben Santa Reyada komplett auf den Kopf gestellt. Nichts. Sie muss zu Fuß unterwegs sein. Es fehlt zumindest keiner der Wagen.«
Joaquín warf einen schnellen Blick zur Sonne hinauf, nur um ihn mit einem Zischen sofort wieder abzuwenden und die Lider zusammenzupressen. Er unterdrückte einen Fluch. Sie mussten Luz finden. Und zwar schnell.
Hinter ihm räusperte sich Hernan. »Kann ich irgendetwas tun, Patron?«
Mit erzwungener Ruhe drehte er sich zu seinem Fahrer um. Hernan war so vertrauenswürdig wie jeder andere seiner Leute, aber bei dem, was er gleich tun würde, wollte er ihn nicht dabeihaben. »No, gracias, Hernan. – Ich wäre dir dankbar, wenn du die Papiere vom Rücksitz auf den Schreibtisch im Arbeitszimmer legen würdest, aber danach brauche ich dich für heute nicht mehr.«
»Sicher, Patron? Egal, was es …«
»Sicher, Hernan. Danke.« Er nickte dem Mann noch einmal zu, dann machte er kehrt und stieg die Treppe hinauf. »Ihr kommt mit!«, knurrte er Rafael und Cris zu. Widerspruchslos folgten sie ihm quer durchs Haus, bis in die Küche.
»Was hast du vor?« Rafael runzelte die Stirn, als er ein Paket Salz aus dem Schrank nahm und eines der Messer aus dem Block zog.
»Cris bleibt hier, falls sie wider Erwarten zurückkommt; wir beide …«
Cris schüttelte den Kopf. »Sie wird nicht zurückkommen. Es wäre besser, ich würde die Bell nehmen und Lucinda aus der Luft suchen, anstatt nur hier herumzusitzen.«
»No. Du bleibst hier.« Ohne seinen Bruder eines Blickes zu würdigen, drängte er sich an ihm vorbei und stieß die Hintertür auf. Was er jetzt noch brauchte, war Erde. »Rafael und ich werden sie am Boden suchen.«
»Sie kann überall sein«, wandte Rafael vorsichtig ein und folgte ihm zusammen mit Cris weiter nach draußen.
Vor einem Busch kniete er sich hin, legte das Messer neben sich, strich den harten, staubigen Boden mit der Hand glatt, kippte das Salz darauf und glättete es ebenfalls. »Deshalb verschaffe ich uns auch etwas Hilfe.«
Cris schnappte nach Luft, als er das erste Siegel in Salz und Erde schrieb. »Du willst … Man kann die Hunde nicht kontrollieren. «
Joaquín sah nicht auf. »Ich kann es.
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