Blutbraut
»Als du die Treppe runterkamst … Sie sah aus, als stünde sie dem Leibhaftigen gegenüber. – Ich meine: Du warst auch zum Fürchten. Aber was hat sie gedacht, was du tun würdest?« Ihr die Zähne in den Hals schlagen, ihr Blut trinken und ihr dann Stück für Stück die Kehle herausreißen. So wie Malakai es damals bei María getan hatte. Vor ihren Augen. Bevor er begonnen hatte, auch mit ihr zu spielen. »Als sie da lag … Ich dachte tatsächlich für eine Sekunde, sie sei vor Angst gestorben.« Er konnte Rafael geradezu den Kopf schütteln hören. Joaquín rieb sich übers Gesicht. Ja, gestorben. Aus Angst vor ihm. Viel hatte möglicherweise nicht gefehlt. »Wie geht es ihr heute Morgen?«
»Gut genug, um mich zum Teufel zu wünschen.«
»Oha. Was genau hat sie gesagt?«
»Ich glaube, der entscheidende Satz war: ›Verpiss dich endlich, du Scheißkerl!‹«
»Autsch. – Und was gedenkst du zu tun, um sie dir etwas gewogener zu stimmen? Ich würde ja ein nettes kleines Frühstück zu zweit vorschlagen, auf der hinteren Terrasse. Dazu dein göttliches Rührei mit frischen Kräutern … Nachdem ihr einander heute Morgen schon über den Weg gelaufen seid, ist es ja schon zu spät, um ihr das Frühstück ans Bett zu bringen …«
»Ich habe ihr gesagt, wir reden, wenn ich wieder zurück bin – «
»Zurück? Wieso …? – Warte mal. Du bist nicht auf Santa Reyada?«
»Nein …«
»Wo zum Teufel steckst du dann?«
»Auf dem Weg nach San Diego. – Du erinnerst dich? Das
Treffen mit den anderen Patrones? Wie schon gestern und vorgestern? «
»Du … Was? – Das ist nicht dein …? – HERNAN!!«
Mit einem Fluch riss Joaquín sich das Handy vom Ohr. » Verdammt, Rafael, das war mein Trommelfell«, zischte er, als er es wagte, es wieder ans Ohr zu halten.
Rafael ignorierte seine Worte. »Sag Hernan, er soll umdrehen! «, verlangte er heftig.
»Das geht nicht. Sie erwarten mich.« Joaquíns Ton war nicht minder scharf.
»Sollen sie. Du und deine Tigerin, ihr seid jetzt wichtig. Herr im Himmel, Joaquín, du stehst am Abgrund, das Mädchen, das der Schlüssel zu deinem Leben ist, ist bei dir zu Hause – und du lässt sie allein, um dich mit diesen Hyänen zu treffen? – Hast du sie noch alle?«
»Du weißt, dass das nicht so einfach ist.«
»Verdammt, Joaquín, und du weißt, dass in den oberen Rängen der Familie schon Gerüchte umgehen, dass du ihnen irgendetwas verschweigst. Du bist der Letzte, dem ich sagen muss, was es bedeutet, wenn die Geier aus deinem Konsortium feststellen, dass ihr Verdacht tatsächlich der Wahrheit entspricht. Und wenn sie es wissen, was glaubst du, wie lange es dauert, bis sie es auch den anderen Patrones der Hermandad gesteckt haben. Eine Stunde? Eine halbe?«
»Noch kann ich sie …«
»Was? Täuschen? Wie lange? Hast du vergessen, dass ich die zweite Hälfte eines ganz bestimmten Siegels trage? Ich habe gemerkt, dass du gestern Abend in die Knie gegangen bist, als ich Abners Zauber abgelenkt habe. Irgendwann wird deine Illusion zusammenbrechen. – Großer Gott, deine Sanguaíera ist
auf Santa Reyada. Alles, was du brauchst, sind ein oder zwei Tage. Dann ist die Sache geklärt und sie können dir gar nichts mehr.« Was hätte er nicht darum gegeben, wenn es tatsächlich so einfach gewesen wäre. »Scheiß auf deine Pflicht der Hermandad gegenüber. Seit Jahren hältst du für sie immer wieder den Kopf hin. Holst für sie die Kohlen aus dem Feuer. Schon als dein Vater noch da war. Müssen sie eben diesmal ohne dich klarkommen. – Und jetzt sag Hernan, er soll dich nach Hause schaffen, verdammt noch mal!«
»Rafael …«
»Tu es einfach, Bruder. Sie sind es nicht wert, ihretwegen auch nur einen Tag mehr zu verlieren.« Rafaels Stimme war plötzlich sehr sanft.
Erneut massierte Joaquín sich die Schläfe. Wie man es drehte und wendete: Rafael hatte recht. Zudem war ihm alles andere als wohl dabei, Lucinda einfach sich selbst zu überlassen. Auch auf Santa Reyada. Auch mit Cris im Haus. Vielleicht sollte er das Risiko eingehen und hoffen, dass den anderen Patrones die Fahrt bis hinaus nach Santa Reyada schlicht zu weit war. »Also gut. Ich komme zurück.«
»Sehr gut. Ich werde jetzt meinen Kaffee zu Ende trinken, anschließend gehe ich zum Haus hinüber und gebe der lieben Lucinda eine weitere Kostprobe meines unwiderstehlichen Charmes, damit sie dich umso mehr zu schätzen weiß. Wir sehen uns dann, Bruder.« Ein Klicken. Aufgelegt. Typisch Rafael.
Joaquín
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