Blutbraut
gerade alles andere als beruhigend? Und vor allem: Hoffentlich hatte das auch jemand den Typen mit den Maschinenpistolen vor der Kirche gesagt.
Er nickte Enrique zu, der ebenfalls ausgestiegen war. »Du bleibst bei dem ersten Wagen da vorne stehen. Sodass er dir möglichst viel Deckung bietet, aber du gleichzeitig freies Schussfeld hast, um uns Feuerschutz zu geben.« Sein Ton hatte mehr und mehr etwas von Militär. Dass Enrique nicht die Hacken zusammenschlug und salutierte, war auch schon alles. Ich warf ihm zwar einen unsicheren Blick zu, als er mir mit einer Geste zu verstehen gab, dass ich vor ihm gehen sollte, aber ich setzte mich trotzdem in Bewegung. Zwischen den Ruinen der Häuser hindurch auf den Platz vor der Kirche zu. Schnell und entschlossen. Ohne zu rennen. Mein Herz schlug wie verrückt. Seit dem ›Feuerschutzgeben‹ dachte mein Magen darüber
nach, in Richtung meiner Kehle zu kriechen. Rafael und Enrique waren dicht hinter mir. Ich wagte es nicht, mich zu ihnen umzudrehen.
Sobald wir in Sichtweite waren, richteten die Männer ihre Waffen abermals auf uns.
»Wer zum Teufel seid ihr? Bleibt, wo ihr seid!« Die Stimme gehörte einem schlanken, dunkelblonden Mann links von der weißen Limousine, die den Stufen am nächsten stand.
»Mitten zwischen dem zweiten und dritten von rechts hindurch; direkt auf die Treppe zu«, wies Rafael mich von hinten leise an. Wie kam er auf die Idee, ich würde einen anderen als den kürzesten Weg nehmen, während fünf Bodyguards ihre Waffen auf mich gerichtet hatten? »Halt die Hände so, dass sie sie sehen können.« Der Himmel verlor allmählich seine Schwärze. Im Osten zeigte sich ein Streifen fahles Orange am Horizont.
Langsam streckte ich die Arme ein Stück zur Seite. Jetzt konnte eigentlich endgültig niemandem mehr entgehen, dass ich zitterte. Mindestens ebenso sehr wie der Boden unter mir. Ich ging weiter. Fixierte dabei stur die Kirchentür.
»Die junge Dame hier will zu ihrem Hexer«, erklärte Rafael dem Typen liebenswürdig. Die junge Dame, die er noch vor Kurzem auf Santa Reyada zurücklassen wollte.
Wir passierten den ersten Wagen; das Licht seiner Scheinwerfer. Enriques Schritte verstummten.
»Das kann sie nicht. Nicht jetzt.«
Nur dass es für Joaquín wahrscheinlich kein ›später‹ gab. Im letzten Moment biss ich mir auf die Zunge.
»Ihr könnt einer Sanguaíera nicht den Zugang zu ihrem Hexer verwehren.«
Ich marschierte zwischen dem ausgetrockneten Brunnen und
einer weiteren Limousine hindurch. Rafael nach wie vor direkt hinter mir. Der Boden unter mir schrie und schüttelte sich. Um ein Haar wäre ich stehen geblieben. Bitte, lieber Gott, lass Joaquín noch am Leben sein. Die Worte schossen mir einfach durch den Kopf; schnürten meine Kehle noch ein Stück mehr zu. Rafael zischte: »Weiter!«
»Unsere Befehle sind eindeutig: Niemand betritt die Kirche. Bleibt, wo ihr seid!«
»Sonst was? Schießt ihr dann? – Fein.« Fein? War Rafael übergeschnappt? Ich konnte mich gerade noch davon abhalten, mich zu ihm umzudrehen. »Und wer von euch erklärt den Herren in der Kirche, dass ihr eine Moreira-Blutbraut erschossen habt?«
Schockiertes Schweigen. Blicke wurden getauscht. Zwei der Typen senkten die Läufe ihrer Waffen kaum merklich. Nicht, dass es meinen Herzschlag dramatisch verlangsamt hätte. Der nächste Wagen. Nur ein paar Meter trennten mich noch von den beiden Männern, zwischen denen ich hindurchgehen sollte. War Rafael gerade noch ein Stück näher gekommen? Warum fühlte es sich an, als würde er mich als Schutzschild benutzen?
»Zum letzten Mal: stehen bleiben!« Das schnalzende Geräusch einer Pistole, die durchgeladen wurde. Ich konnte nur hoffen, dass Rafael tatsächlich wusste, was er da tat.
Jetzt waren wir auf gleicher Höhe mit den beiden Männern.
Ich spürte Rafaels abrupte Bewegung hinter mir.
Zwei Schüsse peitschten auf, die wie einer klangen.
Rafael brüllte: »Lauf, Lucinda!«, und: »Enrique!«
Die beiden Typen rechts und links von mir stürzten zu Boden.
Ich schrie auf, duckte mich, schlang die Arme um den Kopf und rannte auf die Kirche zu. Eine Kugel ließ ein gutes Stück neben mir den Boden aufspritzen.
BlamBlamBlamBlam. Die Schüsse wollten kein Ende mehr nehmen. Panisch warf ich einen Blick zurück. Rafael kam hinter mir her. Rückwärts. In jeder Hand eine Pistole. Die Arme vor sich ausgestreckt. Blam. Blam. Ein weiterer der Kerle lag auf dem Boden, die Hände auf den Bauch gepresst, krümmte
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