Blutbraut
Schluchzen.
»Das ist nicht wahr!« Tomás’ Arm schloss sich noch härter um mich.
»Doch! Sonst hätte Jorge ihn doch nicht mit Tomás und … und Ferrado streiten gesehen. Und dass Joaquín zusammengebrochen ist, bevor Tomás’ Leute Jorge bewusstlos geschlagen haben.« Mehrstimmiges Luftholen. »Er ist nicht freiwillig mitgegangen. – Bitte! Bitte … geben Sie uns eine Chance …« Abermals grub ich meine Fingernägel in Tomás’ Haut.
»Stimmt das, de Silva?«
»Ferrado?«
»Lassen Sie das Mädchen endlich los, Tomás.« Der Grauhaarige.
»Sie kennen die Gesetze in solchen Fällen, de Silva.«
Mit einem Zischen gab er mich frei. Mehr als widerstrebend. »Joaquín hatte zugestimmt! Dafür gibt es Zeugen, Salgada.«
Ich taumelte, stolperte auf den Bannkreis, auf Joaquín zu, fiel davor auf die Knie. »Joaquín.« Diesmal schluchzte ich wirklich. Er war ein Stück weiter vornübergesunken, stützte sich mit der unverletzten Hand auf dem Boden ab.
»Auch ein Einverständnis kann unter bestimmten Umständen widerrufen werden.«
Seine Haare hingen ihm ins Gesicht, berührten fast die Steinfliesen. Er zitterte wie im Fieber. »Joaquín. Joaquín, sag was …« Ich glaubte, ihn leise stöhnen zu hören. »Bitte, es muss aufhören …«
»Das ist nicht möglich.« Tomás.
»Und selbst wenn es möglich wäre, würdest du es nicht zulassen, du Bastard!« Rafael klang atemlos. Erst jetzt warf ich einen
schnellen Blick hinter mich. Er lag bäuchlings am Boden. Die Hände anscheinend auf dem Rücken gefesselt. Einer der Kerle von draußen kniete über ihm, den Lauf seiner Pistole in Rafaels Nacken.
Einer der Hexer warf ihm einen unwilligen Blick zu, sah dann mich beinah mitleidig an. »Grämen Sie sich nicht, Señorita Moreira, für Joaquín ist es bereits vorbei«, sagte er bedauernd.
Ich starrte ihn an. »W-was? Aber … aber er lebt doch noch.«
Er schüttelte den Kopf. »›Zuerst stirbt der Mann, dann der Nosferatu.‹ Das da ist nur noch eine bösartige Kreatur, die nichts mehr mit Joaquín de Alvaro gemein hat.«
NeinNeinNein. Das konnte nicht wahr sein. »Joaquín. Joaquín, bitte«, flehte ich. »Sag was. Bitte. Sag doch was!« War er tatsächlich noch weiter vornübergesunken? »Du hast es versprochen. Du hast versprochen, dass wir reden, wenn das vorbei ist.« Sein Arm zitterte, als würde er jede Sekunde unter ihm einknicken. »Joaquín, nein. Bitte.« Wieder ein Aufbäumen, wieder ein Röcheln, das zu einem Stöhnen wurde. Er kippte vornüber, fing sich im letzten Moment. »Nein!« Das Wort war ein Aufschrei. Ich streckte die Hand nach ihm aus, ohne nachzudenken. Der Bannkreis flammte auf, waberte unter meiner Handfläche. Ein dünner Schmerz fuhr meinen Arm hinauf, wie ein Stromschlag. Der Boden kreischte, schüttelte sich. Bestürztes Murmeln um mich herum.
Ganz langsam sah er auf, sah meine Hand an, sah mich an.
Hob die Hand wie in Zeitlupe, die verletzte.
Fuhr mit den Fingerspitzen von Zeige – und Mittelfinger über die ganze Länge meiner Hand. Von oben nach unten. Und zurück.
Der Bannkreis brannte und loderte bei seiner Berührung.
»Chimo. Chimo, bitte nicht.« Tränen liefen mir übers Gesicht. Er sah mich weiter an. Unverwandt. Bis er sich erneut aufbäumte, mit einem lautlosen Schrei; sich abermals vornüberkrümmte, keuchte, nur noch den Ellbogen auf den Boden gestützt, die eine Hand auf den Steinplatten noch immer wie nach mir ausgestreckt. Quer über die Siegel des Schutzkreises, den er damals um mich herum geschrieben hatte, um mich vor den Nosferatu zu schützen. Den er mit meinem Blut geschlossen hatte, um mich vor ihm selbst zu schützen. Ich starrte darauf, auf die Siegel darunter.
Mit Blut geschlossen.
Mit meinem Blut.
Hastig kroch ich näher an den Bannkreis heran, dort, wo sich der neue und der alte überschnitten. Nur ein paar Siegel überschnitten. Suchte die Stelle, wo er durchbrochen war. Da!
Mit einem Mal waren die Hexer um mich herum vergessen; ihr Streit, ob das, was hier geschah, nach ihren Gesetzen überhaupt noch legal war. Es war bedeutungslos. Der Boden hob und senkte sich. Ihre Stimmen wurden lauter. Schreie irgendwo draußen.
Ich zerrte Fernáns Verband von meinem Handgelenk, schlug die Fingernägel in die Löcher, die einer der beiden Nosferatu in meinem Arm hinterlassen hatte, brachte sie erneut zum Bluten. Tauchte meine Fingerspitze hinein. Setzte dort an, wo der alte Kreis verwischt war. Schrieb das erste Siegel neu. Putz fiel von der Wand.
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