Blutbraut
andere Ende des Pools lag in Dunkelheit. Der Boden unter meinen Füßen war wieder still. Auch wenn ich das ein oder andere Mal das Gefühl gehabt hatte, etwas wie ein … Schnurren unter
meinen nackten Sohlen zu spüren. Wie eine riesige zufriedene Katze. Santa Reyada.
Schritte und Stimmen vom Haus her schreckten mich auf. Ich war aufgestanden, noch bevor ich Joaquín »Lucinda?« rufen hörte.
»Ich bin hier.« Er war zurück. In Sicherheit. Zumindest für den Moment. Und er hatte nicht geklungen, als würde er mich gleich auffordern, alles stehen und liegen zu lassen, weil wir Santa Reyada sofort verlassen mussten. Trotzdem schaffte ich es gerade mal, ihm zwei Schritte entgegenzugehen, bevor meine Beine den Dienst verweigerten. Ich stand wie angefroren. Mein Herz hing in meiner Kehle.
Joaquín kam die Stufen herunter auf mich zu. In seinem dunkelgrauen Maßanzug ganz der gefürchtete Patron einer der mächtigsten Hexer-Familien der Hermandad. Allerdings waren Sakko und Krawatte irgendwo auf dem Weg von seinem Treffen mit den anderen zurück nach Santa Reyada auf der Strecke geblieben. Zumindest trug Joaquín nur noch ein schwarzes Seidenhemd, dessen Kragen offen stand und dessen Ärmel er halb aufgekrempelt hatte
Er sagte nichts. Kam einfach nur auf mich zu und nahm mich in die Arme. Für nicht mehr als einen Sekundenbruchteil. Ich spürte den Augenblick, als ihm bewusst wurde, was er tat, und er sich zurückziehen wollte – und kam ihm zuvor, schlang ihm meinerseits die Arme um die Mitte, legte wie in der alten Kirche den Kopf gegen seine Brust. Es fühlte sich noch genauso gut an. Einen Moment zögerte er, dann begann auch er sich wieder zu entspannen. Als er die Wange an mein Haar lehnte, schmiegte ich mich stärker an ihn. Dass ich all die Jahre vor ihm davongelaufen war, erschien mir immer mehr wie ein schlechter Witz.
Minutenlang standen wir einfach da. Seine Hand strich über meinen Rücken, meinen Nacken, meine Schulter. Nur aus dem Augenwinkel erhaschte ich einen kurzen Blick auf einen Verband. Ich wandte den Kopf. Seine Hand war bandagiert und bis übers Handgelenk geschient.
»Was hat Fernán gesagt?« Unsicher nickte ich zu dem Schaden hin.
»Außer, dass ich seiner Meinung nach ein absoluter Vollidiot bin?« Er hob die Hand ein klein wenig, drehte sie, betrachtete sie seinerseits. »Ich habe es wohl geschafft, mir ein paar Knochen zu brechen, Gelenke auszurenken und diverse Muskeln und Sehnen gnadenlos zu überdehnen. Von dem, was an Haut und Fleisch gefehlt hat, reden wir jetzt nicht, aber laut Fernán kommt alles wieder in Ordnung. Allerdings nur, wenn ich die Hand nicht benutze. Deshalb hat er sie mir ruhig gestellt.«
Gebrochene Knochen? Ausgerenkt? Haut und Fleisch gefehlt? … Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie groß die Schmerzen gewesen sein mussten. Über Stunden. Ohne dass er auch nur ein einziges Wort gesagt hatte. »Er kennt dich gut, was?« Vorsichtig legte ich die Spitzen von Zeige – und Mittelfinger gegen die von seinen.
»Sí-í. Fast schon zu gut, für meinen Geschmack.«
»Und dein Rücken?«
»Kommt auch wieder in Ordnung. Vielleicht muss ich von Zeit zu Zeit mit einer Art ›Phantomschmerz‹ rechnen, aber ansonsten wird alles so sein, als hätte ich nie Schwingen gehabt.« Er verlagerte sein Gewicht ein wenig. »Fernán sagt, mit ein bisschen Glück werden die Narben kaum zu sehen sein.«
Erleichtert ließ ich den Kopf wieder gegen seine Schulter sinken. Der Gedanke, dass Joaquín seine Hand nicht mehr hätte
benutzen können … meinetwegen … Oder dass sein Großvater ihn irgendwie zum Krüppel gemacht hätte … Er war unerträglich gewesen.
Um die nächste Frage zu stellen, musste ich deutlich mehr von meinem Mut zusammennehmen.
»Und … Tomás und die anderen?«
Schweigen.
»Joaquín?« Alarmiert lehnte ich mich in seinem Arm zurück. Warteten sie am Ende draußen vor der Tür? Hatten sie ihn nur zu mir zurückkommen lassen, dass er sich von mir verabschieden konnte? »Joaquín, was …«
»Sch, mi vida.« Er schüttelte den Kopf. Offenbar war ihm meine plötzliche Panik nicht entgangen. »Es ist alles in Ordnung. «
Ich sah ihn an, forschte in seinem Gesicht, seinen Augen. Für ›alles in Ordnung‹ klang er zu … kalt. »Was haben sie gesagt?«
Eine Sekunde gab er meinen Blick zurück, dann zog er mich wieder fester in seine Arme. »Ich bin sozusagen ›auf Bewährung‹. Solange ich mir nichts zuschulden kommen lasse, das sie zu dem Schluss
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