Blutbraut
ich einen Blick hinter mich, die Treppe hinunter, ehe ich mir einen Ruck gab, den Raum durchquerte, eines der Fenster öffnete und die Läden davor auseinanderstieß. Das Licht war im ersten Moment so grell, dass ich geblendet die Augen zusammenkniff. Sofort kroch Hitze herein. Hastig schloss ich zumindest das Fenster wieder.
Erneut sah ich mich um, ehe ich schließlich hinüber zum Arbeitstisch ging, mit den Fingern an der Kante entlangstrich, über die Flecken … In einem kleinen Plastikkörbchen lagen saubere Lappen; die unteren ordentlich gefaltet, die oberen achtlos zusammengeknüllt hineingeworfen. In einem zweiten daneben solche, die vor getrockneter Farbe steif waren. Ich zog die Schubläden auf. Pinsel. In allen Breiten. Manche mit dicken Borsten, andere aus feinem Haar. Spachtel, gebogene Messer, Farbtuben und Flaschen. In einer anderen Schublade fand ich Kohle – und Pastellstifte. In wieder einer anderen noch unbenutzte Skizzenblöcke. Zwei Dosen mit Terpentin waren an der Wand aufgereiht. Eine mit hart gewordener Farbe verschmierte Handpalette lag dabei, halb unter einem weiteren, gedankenlos hingeworfenen Lappen. An der Seite des Tisches stand eine Staffelei.
Daneben lehnten die Bilder. Öl auf Leinwand. Einige abstrakt. Auf anderen konnte man vage Landschaften oder Häuser erkennen. Aber stets war es ein Spiel der Farbschattierungen und Nuancen. Meist sogar nur einer einzigen Farbe.
Alles in allem waren es vielleicht fünfzehn Gemälde, die an den Wänden entlang standen. Nach und nach sah ich sie durch. Und bei jedem fragte ich mich, von wem sie sein mochten.
Und warum sie hier waren und nicht in irgendeiner der teuren Galerien ausgestellt wurden.
Von einem der komplett abstrakten konnte ich den Blick kaum losreißen. Die Leinwand reichte mir gut handbreit bis über die Hüfte und war sogar noch ein Stückchen breiter als hoch. Teilweise war die Farbe so dick aufgetragen, dass ein regelrechtes Relief entstanden war. Der Hintergrund bestand nur aus dunklen Blautönen. Darauf waren ein paar wenige kräftige und eine feine Linie in einem hellen, sanften Beige, das wie eine Mischung aus Ocker und Elfenbein aussah. Ich wusste nicht, warum ausgerechnet dieses mir am besten gefiel, aber es war so. Mit einem Gefühl des Bedauerns stellte ich es zurück an seinen Platz und wechselte zu denen an der anderen Wand.
Doch schon bei dem ersten Bild auf dieser Seite hielt ich inne. Etwas schien mit den Nuancen nicht mehr zu stimmen. Sie waren irgendwie zu … hart, passten nicht mehr so perfekt zusammen wie bei den anderen Gemälden. Und je weiter die Bilder vorne standen, umso auffälliger war es. Irritiert trat ich schließlich zurück und sah zu dem verhängten auf der Staffelei in der Mitte des Raumes. Das weiße Tuch war nur nachlässig darübergeworfen. Unter seinem Rand lugte eine Mappe hervor, die wohl an einem Bein der Staffelei lehnte. Eine Ecke hing noch halb über einem runden Hocker, der dicht davorgeschoben worden
war. Vorsichtig, um das Bild nicht versehentlich von der Staffelei zu reißen, entfernte ich es. Und erlebte einen Schock. Ein grauenvolles Gemisch aus Farben sprang mir entgegen. Farben, die sich teilweise so sehr bissen, dass es geradezu in den Augen wehtat. Als hätte jemand in totaler Finsternis wahllos nach Farbtuben gegriffen und sie auf der Leinwand verschmiert. Obendrein klafften tiefe Risse darin, dass man hätte glauben können, irgendwer wäre in blinder Wut mit einem Messer oder Ähnlichem auf sie losgegangen. Für eine Sekunde starrte ich darauf, dann zerrte ich hastig das Tuch wieder darüber. Mit einem lauten Klatschen landete die Mappe vom Fuß der Staffelei auf dem weißen Bodenfliesen. Die Blätter darin rutschten heraus, einige schlitterten ein Stück weit davon. Hastig bückte ich mich, um sie wieder einzusammeln, doch kaum hatte ich das erste in der Hand, erstarrte ich. Es waren Kohlezeichnungen. Jedes einzelne. Ich zog die Mappe zu mir, öffnete sie, blätterte den restlichen Inhalt durch. Und abgesehen von zwei oder drei hatten auch die anderen alle dasselbe Motiv: eine junge Frau. Mit einem schmalen, ganz leicht herzförmigen Gesicht. Zart, beinah zerbrechlich. Augen, die den Betrachter nie ansahen. Langen Wimpern, sanft geschwungenen Brauen. Ein weicher Mund. Mal entspannt, mal lächelnd, mal amüsiert verzogen, mal … traurig. Manchmal war da noch ein Teil eines Möbelstückes, manchmal nur sie.
Sie war … hübsch.
Sie war … ich. Mir war kalt.
»Was
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