Blutbraut
tust du hier oben?«
Mit einem Schrei fuhr ich herum. Er! In meiner Brust saß mit einem Schlag wieder jene allzu vertraute Enge. Einen Moment tat ich nichts anderes, als nach Luft zu schnappen, starrte ihn an. Die Spuren, die die Stunden in Fernáns Klinik bei
ihm hinterlassen hatten, waren ebenso verschwunden wie die, die von seinem Cage-Fight und unserem Unfall zurückgeblieben waren. Nun, immerhin war er in der vergangenen Nacht noch auf der Jagd gewesen. Ich verdrängte den Gedanken und das Schaudern, das ihn begleitet hatte. Was sich nicht verändert hatte, waren seine Augen. Sie waren noch immer heller als zuvor. Er trug ein weißes Hemd halb offen und lose über ein Paar ausgeblichenen Jeans. Das Kreuz hing wieder auf seiner Brust. Daneben ein länglicher, schmaler Kristall, in dem sich das Schwarz zu bewegen schien. Sein Blick ging zu den Blättern in meiner Hand. Weitete sich. Zuckte zu mir.
Also hatte er von ihnen gewusst. Mistkerl! Ich schob das Kinn vor. Um ein Haar hätte ich auch noch die Fäuste geballt. Im letzten Moment fielen mir die Zeichnungen darin ein.
»Du hast gesagt, ich darf mich im Haus frei bewegen. Und da ich wohl in nächster Zeit nicht von hier wegkomme … habe ich mir mein neues ›Zuhause‹«, ich ließ das Wort so abschätzig und ätzend klingen, wie ich nur konnte, »ein bisschen angesehen. « Warum sollte ich nicht sagen, was ich dachte? Zu verlieren hatte ich nichts mehr. Nur am Rande registrierte ich, dass seine Füße nackt waren.
Der Ausdruck in seinem Gesicht war nicht zu deuten. Schließlich nickte er. »Natürlich. Ich hatte dich nur nicht hier oben erwartet.«
Ich schnaubte abfällig. Wahrscheinlich hatte er angenommen, ich würde trotzdem brav auf meinem Zimmer bleiben oder wäre ›nur‹ bei Cris am Pool.
»Was ist das hier oben?«
Er zögerte, abermals ging sein Blick kurz zu den Skizzen. »Mein Atelier«, sagte er endlich.
Sein … ? Die Gemälde waren von ihm? Und die … Ich holte scharf Luft, wedelte mit den Blättern in meiner Hand. »Dann sind die hier von dir?«
Wieder ein Zögern, schließlich: »Sí.«
Wie zuvor wurde mir kalt. Noch kälter sogar, als mir klar wurde, was das bedeutete.
Er war von der Treppe weg weiter auf mich zugekommen, nickte jetzt zu den Zeichnungen hin. »Gib sie mir.«
Die Kälte explodierte zu Wut. »Hier bitte! Elender Stalker!«, fauchte ich und schleuderte sie ihm entgegen. »Wie bist du in meine Nähe gekommen, ohne dass ich dich spüren konnte? Offenbar warst du ja in meiner Wohnung! In so ziemlich jeder, wie’s scheint.« Sie prallten gegen seine Brust, segelten zu Boden. Er machte gar nicht den Versuch, sie auffangen zu wollen.
»Ich war nie in einer deiner Wohnungen.« Der Ärger war in seiner Stimme nicht zu überhören.
»Lügner! Wie kannst du sonst …«
Sein Zischen schnitt mir den Satz ab. »Spiegel!« Mit einem großen Schritt hatte er die Distanz zwischen uns überwunden, packte mich am Arm. Keuchend wich ich so weit zurück, wie ich konnte. Beinah wäre ich gestolpert. Sein Griff verhinderte es. »Spiegel. Und klare, spiegelnde Oberflächen. In ihnen kann ich sehen, was jemand tut.« Ich starrte ihn an. »Du glaubst mir nicht? Dann will ich es dir zeigen. Komm!« Er zerrte mich mit sich, zu einer Tür neben der Treppe, berührte das Schloss, stieß sie auf, schleppte mich einfach hindurch, quer durch den Raum dahinter, bis zu einem tiefblauen Tuch, das über einen viereckigen Rahmen gehängt war, der an der gegenüberliegenden Wand lehnte. »Rühr dich nicht!«, herrschte er mich an, ließ mich los und ging zu einem Waschbecken rechts von uns.
Ich war viel zu geschockt, um etwas anderes zu tun, als mich ›nicht zu rühren‹.
Mit einer Steinschale voll Wasser kam er zurück und riss das Tuch vom Rahmen. Der Spiegel, der darunter zum Vorschein kam, war alt und an manchen Stellen schon fleckig. Für eine Sekunde sah er mich an, dann kippte er den Inhalt der Schale schwungvoll gegen das Glas, stellte sie achtlos auf den Boden und schrieb ein verschlungenes Zeichen in die Nässe. Er streckte seine Hand aus, als er neben mich trat: »Deine Hand!«
Ich wollte sie wegziehen. Knurrend packte er mein Handgelenk, drückte unsere Handflächen gegeneinander und verschränkte seine Finger mit meinen. »Und jetzt: Wen soll ich dir zeigen? Cris? Wetten, dass er am Pool ist?« Die Zähne in die Unterlippe gegraben sah ich ihn an, sah wieder zu dem Wasser, das verwirrend langsam über den Spiegel abwärtsrann. Er
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