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Bluteis: Thriller (German Edition)

Bluteis: Thriller (German Edition)

Titel: Bluteis: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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auf ihren Tourenski durch den kleinen Ort mit den wenigen Häusern, der an den Ausläufern des Corvatschmassivs lag. Von dort schnitt sich das Hochtal Val Fex nach oben in den Berg. Die Strecke bis hierher war Lockerung und Aufwärmen für Sandra gewesen. Danach ging die eigentliche Tour los. Bis zum Hotel Fex, das nach zwei Kilometern vor ihr auftauchte und das in das Hochtal gesetzt schien wie eine Filmkulisse, brauchte sie nur eine gute Viertelstunde. Obwohl sie die Zweitausend-Meter-Marke schon längst unter sich gelassen hatte, spurte sie wie von einer Schnur gezogen durch den Neuschnee auf der Fahrstraße, die für den öffentlichen Verkehr gesperrt war.
    Hinter dem alten Hotel endete die Zivilisation. Nur noch wenige Almen standen hier, und die waren im Winter unbewohnt. Sie hielt auf den Gipfel des Il Chapütschin zu. Es ging immer steiler bergauf, denn die Dreitausendermarke wollte erklommen werden. Dass die Luft dünner wurde, spürte sie deutlich, ohne dass sie ihr mörderisches Tempo deswegen zurückschraubte. Auf 3300 Metern überquerte Sandra die Gipfelschulter des Il Chapütschin in Richtung des Val Roseg. Es wurde im Osten allmählich hell. Die dicke Wolkendecke weigerte sich, die Sonne durchzulassen. Ein diffuses Licht machte die Überquerung des Roseggletschers zu einem Vabanquespiel. Sie hatte natürlich die Koordinaten in ihr GPS-Gerät eingegeben, das sich ebenfalls im Gehäuse dessen befand, was Unwissende als Uhr bezeichnet hätten. Sie wusste nicht, welche Verhältnisse hier oben wirklich herrschten. Ob der Wind der Nacht Neuschnee aus den Schneefeldern hinaus- oder hineingetragen hatte. Oder erst hinaus und dann wieder hinein. Wie stabil die Schneedecke war, konnte sie in der Hetze, die sie sich auferlegte, nicht prüfen. Kein Zweifel, was sie hier machte, war hochriskant. Mitte Januar in ein unbekanntes Gelände aufzusteigen, allein. Vor einem Jahr hatte sie schon einmal eine Lawine mitgenommen. Ein Rutscherl, wie sie es vor sich selbst verharmloste. Doch natürlich wusste sie, dass sie ohne die beiden Amerikaner, die sie damals aus dem Schnee des Raintals gegraben hatten, frühestens im Mai von den ersten Bergwanderern gefunden worden wäre. Oder das, was von ihr bis dahin übrig geblieben wäre. Sobald die Sonne den Schnee weggeschmolzen hätte, hätten sich die das Wettersteingebirge bewohnenden Aasfresser, Greifvögel, Füchse und Nager, an ihren Überresten zu schaffen gemacht.
    Die Gedanken an die Gefahr ihres Sports zu verdrängen war eine der Spezialdisziplinen von Sandra Thaler. Nur gab es dafür keine Medaille. Die gab es vor allem für domestizierte Sportarten, die im Rund eines von Elitesoldaten abgesicherten Olympiastadions veranstaltet wurden, oder auf von Mensch und Baumaschine ondulierten Hängen, deren Kunstschneedecke von einer Heerschar von Helfern und Pistenraupen glatt gebügelt war. Für die eigentlichen Sportarten, die ohne Rücksicht auf Wind und Wetter in der Natur stattfanden, interessierten sich nur wenige Menschen. Skibergsteigen war so ein Sport. Und doch der einzige, den Sandra Thaler jemals wettkampfmäßig betreiben wollte.
    Nun, da sie einige Zeit in der Höhe lief, spürte sie doch, dass die Berge in ihrer Heimat am Nordrand der Alpen bei dreitausend Metern schon lange zu Ende waren. Das Höhentraining einzulegen war also die goldrichtige Entscheidung gewesen. Die Weltmeisterschaft im Februar in den französischen Alpen würde in vergleichbaren Lagen stattfinden. Es wäre geradezu fahrlässig gewesen, nicht vorher in dieser Höhe zu trainieren. Und nachdem sie das mit Thien, seinem Reportageauftrag, der Wohnung in Maloja und ihrem Trainingsplan so perfekt eingefädelt hatte, war sie guter Dinge, bei der Vergabe der Titel die eine oder andere Rolle spielen zu können.
    Von diesen Gedanken motiviert, schnallte sie die Ski ab und zerrte die Klebefelle von den Laufflächen. Sie schnallte die Stiefel fest und stieg wieder in die Sicherheitsbindungen. Sie wollte zum Gletschersee hinabfahren. Sie hoffte, dass sie die Fläche des Sees rechtzeitig einschätzen würde, damit sie nicht einbrach. Sicherheitsregel Nummer eins beim Skitourengehen besagte, nicht allein in unbekanntes Gelände vorzudringen. Sicherheitsregel Nummer zwei besagte, nie mit Ski über gefrorenes Eis zu laufen, denn bei einem Einbruch hatte man kaum noch Chancen, die Füße aus den Bindungen zu befreien, und zudem würden die Skistiefel voll Wasser laufen und den Skiläufer erbarmungslos nach

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