Bluteis: Thriller (German Edition)
schwarze Skijacke. Der Oberkörper des Mannes befand sich nur einen halben Meter unter der Oberfläche. Seine Arme bekam sie frei. Seine Beine waren in den Schneemassen wie einbetoniert. Er rührte sich nicht. Sandra fasste seinen Kopf an den Haaren. Sie nahm ihre Skibrille ab und hielt sie vor seinen Mund und seine Nase. Das Glas beschlug nicht. Kein Atem entströmte dem Körper. Der Mann war tot. Sie spürte, wie leicht sich der Kopf bewegen ließ, den sie an den Haaren hielt. Der Hals war gebrochen.
Sie zog zur Sicherheit eines seiner Augenlider hoch, und da wusste sie es. Bisher hatte sie nur so ein Gefühl gehabt. Doch das hatte sie nicht getäuscht. Diese bernsteinfarbene Farbe der Augen hatte sie schon einmal gesehen.
Dann durchsuchte sie die schwarze Skijacke. Nichts. Kein Ausweis, keine Geldbörse. Kein Mobiltelefon. Nur die Pistole. Sie nahm sie an sich.
Die Bergrettung, die den Mann irgendwann ausgraben würde, wenn die Frühjahrssonne den Schnee um ihn herum schmolz, musste nicht wissen, dass irgendwann im Hochwinter ein bewaffneter Killer am Roseggletscher gestorben war.
Sie schaufelte mit den Händen den Schnee zurück über den Mann. Über den Mann, der in Diensten des amerikanischen Geheimdienstes stand, wie ihr klar war.
Niemand anderer musste das wissen.
Niemand anderer durfte das jemals erfahren.
Donnerstag, 17. Januar, 8 Uhr
St. Moritz, Hotel Badrutt’s Palace
Anthony D. Heston hatte sich für diese Rallye einen Traum aus Kindertagen erfüllt. Der Porsche 550 Spyder stammte aus einer der exklusivsten Sammlungen Europas. Er hatte das Auto im August nach jahrelangen Verhandlungen gekauft. Der leichte kleine Wagen war noch vor wenigen Tagen in der Spezialwerkstatt in Cannstatt bei Stuttgart in Renntrimm gebracht worden. Jetzt wartete das Auto in dem geschlossenen Anhänger vor dem Hotel Badrutt’s Palace auf ihn. Hestons Porsche unterschied sich in einem Punkt sehr deutlich von den beiden äußerlich identischen Modellen, die an der WinterRAID teilnahmen: Er war echt. Dieser Unterschied war viele hunderttausend Dollar wert. Es war natürlich Wahnsinn, dieses Auto im Januar auf verschneiten Passstraßen zwischen den Wintersportorten St. Moritz und Kitzbühel zu bewegen. Nicht dass es Heston etwas ausgemacht hätte, bei tiefen Minusgraden im offenen Sportwagen zu sitzen. Dafür hatte er sich die richtige Kleidung besorgt. Aber jedem Enthusiasten zog sich bereits bei dem Gedanken der Magen zusammen, dass die einmalige automobile Preziose, in deren Serienbruder sich James Dean umgebracht hatte, von der Strecke abkommen und zerschellen konnte.
Anthony Heston waren solch kleinkrämerische Gedanken einerlei. Er war gewohnt, dass er das, was er wollte, für Geld bekam. Und dass er das, was er dafür nicht bekam, für mehr Geld kaufen konnte. Und das, was er auf seinen PS-orientierten Abenteuern kaputt machte, brachte er ebenfalls mit Geld wieder in Ordnung. Er würde den 550 Spyder nach dem Rennen Schraube für Schraube auseinandernehmen, von Salz und Wasser reinigen, konservieren und wieder zusammenschrauben lassen. Sollte ein Kotflügel in einer Haarnadelkurve Bekanntschaft mit einem Schneewall am Straßenrand machen – sei’s drum. Die Beulen würden die besten Spengler und Lackierer Europas wieder ausdengeln. Und der Porsche wäre nach der Behandlung besser als neu.
Mit der Selbstsicherheit des Nassrasierten betrat er um acht Uhr morgens das Restaurant des Badrutt’s Palace. Die WinterRAID, die Oldtimer-Rallye, deren Hauptsponsor die Caisse Suisse war, würde um Punkt neun starten. Von den anderen Teilnehmern waren die wenigsten schon aus den Federn gekrochen. Kein Wunder, denn nach dem Fahrerbriefing und den Get-together-Dinner am Vorabend waren die meisten bis vier Uhr früh an der Bar geklebt, bis sie der Muttersprache verlustig irgendwann doch noch ins Bett gekrochen waren. Anthony Heston aber hatte sich bereits nach dem Dessert verabschiedet. Ihm war nicht danach, den Tag vernebelt anzugehen. Die klare Winterluft sollte ihm um einen unverkleisterten Kopf wehen. Er wollte jede Sekunde der Fahrt in Richtung Kitzbühel genießen.
Sein Mechaniker und Beifahrer Burt Krankowsky war bereits mit dem Frühstück fertig. Er war einer der wenigen Bediensteten des Rallye-Trosses, der Zimmer an Zimmer mit seinem Herrn und Gebieter im Luxushotel nächtigte. Anthony Heston hasste Geiz. Seinen wichtigsten Mann in einer billigeren Pension vor den Toren des Dorfs übernachten zu lassen, wäre ihm nie
Weitere Kostenlose Bücher