Bluteis: Thriller (German Edition)
Emerging-Markets-Abteilung gelesen, der vom Auslandsgeschäftsleiter nur mit Priorität drei klassifiziert wurde. Darum ist er dir wahrscheinlich nicht aufgefallen. Es sieht so aus, als würde die ganze Welt derzeit in Afrika einkaufen. Da sind wir leider zurzeit schlecht aufgestellt. Du musst dir selbst ein Bild machen und dir überlegen, ob du an dieser Front die Weichen nicht anders stellen willst.«
»Soll ich den Auslandsvorstand schon wieder austauschen?«
»Welche Weichen du stellst, musst du entscheiden. Ich bin nur die Sekretärin.«
Und was für eine, dachte Sonndobler. Annemarie konnte besser analysieren als sein ganzer Verwaltungsrat, dessen Mitglieder in erster Linie damit beschäftigt waren, ihre Posten durch Innenpolitik abzusichern.
»Und was kauft die Welt in Afrika, was es sonst nirgends gibt? Öl? Diamanten? Das ist doch wirklich kein Geheimnis. Und diese Geschäfte sind seit hundert Jahren fest verteilt.«
Annemarie Käppli fischte wieder einen zusammengeklammerten Ausdruck aus ihrer Mappe. »Land. Die Chinesen, die Inder, die Saudis, sie kaufen täglich Land. Ackerland.«
Sonndobler nahm den Bericht und überflog ihn. Die Executive Summary, die Zusammenfassung für lesefaule Bosse, war nur wenige Zeilen lang. Zusammen mit den drei schlichten Balkendiagrammen, die direkt darunter abgebildet waren, berichtete sie von riesigen Wachstumspotenzialen, von einem Wettrennen um Brachland, das für praktisch nichts eingekauft und mit exorbitanten Margen teuer verkauft werden konnte. »Und da sind wir nicht ausreichend dabei?«, staunte er. »Wer hat den Bericht verfasst?« Bevor Annemarie Käppli antworten konnte, hatte Sonndobler selbst die letzte Seite des Reports aufgeschlagen. »Michelle Pitzauer. Wer ist das?«
»Doktorandin in der Emerging-Markets-Abteilung. Fünfundzwanzig Jahre alt. Deutsche. Hat in den USA Wirtschaftsgeographie studiert. Promoviert gerade in Zürich über das Afrika-Thema.«
»Und Urs Schmid, dieser Lahmarsch, gibt dem Bericht die Prio drei? Da wird es aber tatsächlich Zeit für eine Umstrukturierung an der Spitze des Auslandsressorts, meine Liebe. Schade, dass man fünfundzwanzigjährige deutsche Doktorandinnen nicht zu Direktorinnen bei der größten eidgenössischen Bank machen kann. Zumindest nicht, ohne dass der Aktienkurs am nächsten Tag leidet. Wenn es nach mir ginge …«
»Aber du bist ja nur der Chef.«
»Genau. Und nicht die Presse, die Analysten und die Anleger. Ich will diese Pitzauer sehen. Und zwar bald. Kannst du sie mit dem Helikopter kommen lassen?«
»Sie wartet bereits unten in der Lobby auf dich.«
»Annemarie … Schade, dass man siebenunddreißigjährige Chefsekretärinnen nicht zum Verwaltungsrat der größten schweizerischen Bank machen kann.«
»Was würdest du dann tun? Mit mir als Aufseherin?«
»Ich würde endlich mal wieder ein paar Tage Skifahren gehen.« Sonndobler seufzte und schaute durch das Fenster der Suite hinaus auf den verschneiten Bergwald, über dessen Grenze die weißen Spitzen des Jakobshorns in der Vormittagssonne glänzten.
Obwohl der Tag blitzklar war, stob feiner Schnee vor dem Fenster. Durch den ganzen Ort wirbelte es weiß an diesen Tagen, an denen die Teilnehmer des World Economic Forum mit ihren Hubschraubern landeten. Zwar kamen die meisten der über zweitausend Teilnehmer über eine der Passstraßen in den hochgelegenen Luftkurort. Doch die Anwesenheit von über vierzig Staats- und Regierungschefs, der Präsidenten und Vorstände der größten Unternehmen und die zunehmende Zahl der reichen Wichtigtuer, die es schafften, eine Einladung zum Weltwirtschaftsgipfel zu ergattern, ließ die Frequenz der Lufttransporte sprunghaft ansteigen. Wer etwas auf sich hielt, schwebte mit dem Drehflügler ein, hatte ein Zimmer in einem alteingesessenen Hotel an der Promenade und gönnte sich den Luxus, das ganze Event zu Fuß zu absolvieren. Das war der besondere Geist von Davos. Man war unter sich. Man brauchte keine gepanzerten Limousinen mit schwarz getönten Scheiben, um sich vom Volk abzuheben. Volk war nämlich kaum da. Nur am Samstag ließen die Behörden eine Alibi-Demonstration der Globalisierungsgegner zu, um nicht in den Geruch zu geraten, man würde sich vom Rest der Welt abschotten. Doch genau das war der Fall. Neben der Graubündner Kantonspolizei sicherten fünftausend Soldaten der Schweizer Armee die Veranstaltung. Die Staatenlenker hatten ihre eigenen Geheim- und Sicherheitsdienste um sich herum. Keine Maus kam
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