Bluteis: Thriller (German Edition)
verschwanden durch die Tür, durch die sie gekommen waren. Kayser sagte »Guten Abend, Albert« und ging ihnen nach. Hinter ihm schloss sich die Tür.
Freitag, 25. Januar, 9 Uhr 34
Davos, Promenade
»Albert!«
Sonndobler kannte die Stimme nur zu gut, die ihm hinterherrief. Er blieb stehen. Hier, mitten im Hochbetrieb des Weltwirtschaftsgipfels, war es nicht möglich, davonzulaufen. Auch wenn der Mann, der ihn auf seinem Weg zur Konferenz stoppte, womöglich einer der gefährlichsten Terroristen der Gegenwart war.
»Ich wusste, dass ich Sie hier treffe.« Alexandre D’Annecy lächelte wie immer. »Ich wollte Ihnen einen guten Morgen und einen guten Verlauf der Besprechungen wünschen.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Alex«, erwiderte Sonndobler spöttisch. »Ich darf Sie doch Alex nennen, oder? Passen Sie auf sich auf.«
»Ach was, fünftausend Soldaten bewachen diesen wunderschönen Ort. Was soll mir da passieren?«
»Das haben Sie auch wieder recht. Nun, ich muss weiter.«
»Ich auch. Ich wollte Ihnen nur sagen: Sie sind auf einem guten Weg. Sie haben gestern Abend mit der richtigen Frau Ihres Unternehmens gesprochen. Das freut mich. Bis Sie so weit sind, sollten Sie vorsichtig sein mit Eis.«
Sonndobler stutzte. Woher wusste D’Annecy, dass er am Tag zuvor mit Michelle Pitzauer gesprochen hatte? Und was meinte er mit Eis? »Glatteis?«, fragte er.
»Passen Sie auch auf sie auf. Sie ist eine Ihrer Besten.« Mit diesen Worten verschwand Alexandre D’Annecy in der Menge der auf der Promenade hin und her eilenden Konferenzteilnehmer.
Sonndobler ging langsam an den Auslagen der Geschäfte vorbei. War das wieder eine Drohung gewesen? Natürlich. Oder zwei?
Er fürchtete, dass er es bald erfahren würde.
Samstag, 2. Februar, 11 Uhr 25
Celerina bei St. Moritz
In den Hotels und den Clubs von St. Moritz tuschelte man nach den beiden Unfällen bei der Schneefuchsjagd und der WinterRAID über eine Todesserie. Noch waren die zurückhaltenden schweizerischen Tageszeitungen nicht auf das Thema angesprungen, zumal die Wintersaison im Oberengadin ein nationales Heiligtum war. Zu viele Geschäftsinteressen der großen Schweizer Unternehmen waren mit den gesellschaftlichen Ereignissen dort verknüpft. Allen voran die der größten Bank, der Caisse Suisse.
Die Skeleton-Wettbewerbe auf der Cresta Run verzeichneten Melderekorde. Und eine extra große Menge Zuschauer und wagemutiger Schlittenfahrer hatte sich an diesem Morgen beim traditionsreichen Rattle’s Cup am Rande der Natureisbahn eingefunden.
Für Thien Baumgartner war dieser Einsatz wenigstens ein Stück näher an seinem Stammgeschäft. Zwar war die hundertfünfundzwanzig Jahre alte Eisbahn nicht annähernd so steil wie die Berge, in denen er die vergangenen zwanzig Jahre seine Bilder geschossen hatte, aber die Veranstaltung lebte von halsbrecherischer Geschwindigkeit und dem Reiz der Gefahr. Es war die letzte Veranstaltung in Europa, die sich den spleenigen Charme des Amateursports englischer Herkunft bewahrt hatte. Jeder konnte beim Cresta Run mitmachen. Vorausgesetzt, er erfüllte drei Bedingungen: männlich, über achtzehn, gut versichert. Novizen mussten zunächst nach Anleitung durch einen Guru, wie die erfahrenen Cresta-Haudegen genannt wurden, das Anfängertraining mit fünf Läufen absolvieren und dabei einigermaßen vorzeigbare Zeiten erreichen. Dann wurden sie zu den wichtigen Rennen wie dem Rattle’s Cup eingeladen.
Es stand außer Frage, dass ein Mann wie Ulrich Breitschwerdt eine entsprechende Einladung erhielt, wenn er eine wollte. Er verbrachte – mit Ausnahme der Tage, an denen er mit seinem Privatjet zu einem Meeting irgendwo auf der Welt musste – den ganzen Winter in der Suite im Kulm Hotel. Es war paradox, aber der Mann, der sein Vermögen mit Solarenergie gemacht hatte, liebte die Kälte und den Winter. Bei Temperaturen über vierundzwanzig Grad fühlte er sich unwohl. Auch deshalb hatte er Reisen in heiße Länder immer gehasst. Weder seine Fabriken in China, in der täglich Millionen von Quadratmetern an Solarzellen vom Band liefen, noch seine Forschungsanlagen in Kalifornien und New Mexico hatte er mehr als einmal besucht. Nur zu den Eröffnungen hatte er sich dort blicken lassen. In St. Moritz jedoch blühte er auf. Denn hier gab es Sonne und Kälte. Eine für ihn ideale Konstellation. Ulrich Breitschwerdt aß und trank gern. Das sah man ihm nicht nur an, das gab er auch offen zu. Der Sohn eines Metzgers aus dem
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