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Bluteis: Thriller (German Edition)

Bluteis: Thriller (German Edition)

Titel: Bluteis: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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ein Bett aus Heu und Tiefschnee machen, bevor ihnen weiter unten in den noch gefährlicheren Ecken der Bahn etwas Schlimmeres zustieß. Wer die Cresta Run nicht beherrschte, flog hier mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von zwölf zu eins aus dem Eiskanal. Dank dieser natürlichen Auslese hatte es in der hundertsiebenundzwanzigjährigen Geschichte der Bahn und des Clubs bei ungezählten Fahrten erst vier Tote gegeben. Dem letzten hatte im Winter 1974 der hundert Pfund schwere Eisenschlitten den Schädel eingeschlagen. Im Shuttlecock. Auch das hatte Thien im Internet recherchiert.
    Außerdem hatte er sich die vergangenen Abende in den Kneipen herumgetrieben, die zum inoffiziellen Fahrerlager gehörten, der Sunny Bar und dem Dracula Club im Kulm Hotel sowie der Zoo-Bar des Hotels Soldanella. Hier hatte er alle Geschichten erfahren. Die Historie der ersten Cresta-Piloten, die die schnellsten Menschen der Welt waren – damals, bei Gründung des Clubs, als kein Fahrzeug auf der Erde die hundertfünfunddreißig Stundenkilometer erreichte, die Spitzenleute damals wie heute hier fuhren. Besonders beeindruckt hatte ihn das Drama des britischen Afghanistan-Kämpfers, der im Krieg unversehrt geblieben war und nach dem Army Cup eine Unterschenkelprothese benötigte, ohne auf eine Landmine getreten zu sein.
    Thien gehörte mittlerweile selbst beinahe zur Prominenz. Es hatte sich herumgesprochen, dass der Vietnamese aus Bayern der Mann war, der im vergangenen Jahr in den Terroranschlag auf der Zugspitze verwickelt gewesen war und den man danach als Helden gefeiert hatte. Thien war es unangenehm. Außerdem wollte er gute Bilder machen und nicht selbst in Society-Magazinen erscheinen.
    Doch jedes Mal, wenn er mit seiner Fototasche bei einem Anlass, wie man in der Schweiz die Events auf gut Deutsch nannte, gewesen war und sich anschließend an der Bar ein Tonic Water gönnte, musste er seine Geschichte erzählen. Er hatte sich schon längst eine Version bereitgelegt, die garantiert nur drei Minuten dauerte und alle Highlights des weltbekannten Berg-Kidnappings beinhaltete – mit Ausnahme der auch in den Medien oft unterschlagenen Tatsache, dass er den Haupttäter eigenhändig getötet hatte. Das war nichts, worauf er, obwohl ein Kind des Krieges, stolz war.
    In seinem Baumlager war es unbequem und zudem eiskalt. Thien konnte sich nicht viel bewegen, ohne von seinem Ast zu fallen. Zum Glück kamen bei allem Sportsgeist auch hier die prominenten Starter zuerst an die Reihe, und er fotografierte die interessantesten Leute, die mal recht, mal schlecht durch die Eisbahn sausten. Man würde später auf den Bildern sowieso nicht erkennen können, wer da den Berg hinabraste, denn alle trugen Integralhelme. Darum war es am dankbarsten, diejenigen ausgiebig abzuschießen, die der Shuttlecock aus dem Eiskanal ins Heu oder den tiefen Schnee katapultierte. Die Glücklichen durften sich bei allem Ärger über ein missratenes Rennen über die Aufnahme in den exklusiven Shuttlecock-Club freuen. Daher war zu mutmaßen, dass an dieser Stelle so mancher Neuling gezielt einen Abgang machte.
    So auch Ulrich Breitschwerdt. Er dachte nicht daran, diesen Wettbewerb im Ziel zu beenden. Seine Zeit wäre unter »ferner liefen«. Darum beabsichtigte er, im Shuttlecock spektakulär, aber elegant herauszufliegen.
    Er kam auf die Schlüsselstelle zu, und Thien fokussierte sein Teleobjektiv auf den bulligen Körper, der kurioserweise in einem hautengen beigefarbenen Rennanzug steckte, den sich Breitschwerdt von einem Eisschnellläufer geliehen haben mochte. Sein Kopf wurde von einem roten Helm geschützt. Thien dachte sofort an ein überdimensioniertes rasendes Streichholz, das da Kopf voran zu Tal raste.
    In der Mitte der langgezogenen Linkskurve, die den Shuttlecock ausmachte, kam dieses Streichholz im Eiskanal so weit nach oben, dass sich die rechte Kufe auf dem oberen Rand der Bahn verhakte. Das hintere Ende des Schlittens wurde zusammen mit Breitschwerdts Beinen nach unten gedreht, und die Füße berührten die gegenüberliegende Wand des Kanals, wo sich die stählernen Spitzen der Cresta-Schuhe ins Eis bohrten. Das war der Moment, in dem sich das Riesenstreichholz von seinem Untersatz trennte. Breitschwerdt rutschte mit dem Hintern zwei Meter auf dem Rand der Bahn und kippte dann nach hinten. Er puffte im Heu auf, doch seine Geschwindigkeit ließ ihn sich unzählige Male überschlagen, bis ihn das Fangnetz, das zehn Meter neben der Bahn angebracht

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