Bluteis: Thriller (German Edition)
»güldenen Scheußlichkeit«, wie Annemarie Käppli die vergoldete Bronze nannte, in seine linke Hand klatschen. Immer und immer wieder, so wie er es immer machte, wenn er nachdachte.
Lex Kayser sagte nichts. Er schaute Sonndobler nur tief in die Augen. Albert Sonndobler wusste, was dieser Blick bedeutete: Wenn nicht wir, wer dann?
Sonndobler hatte es so eingerichtet, dass das geheime Meeting mit Lex Kayser in Bern stattfand, wo er am Mittag diesen deutschen Vietnamesen Thien Hung Baumgartner treffen würde. Dieses Meeting würde nur zwei Stockwerke weiter unten im Keller stattfinden.
Nein, wurde sich Sonndobler wieder bewusst, er war weder in einem Film noch in einem Alptraum. Das, was er sah und hörte, passierte wirklich. Wenn es auch noch so unwahrscheinlich war. Er hatte ein Treffen mit einem Skifotografen, der vom Geheimdienst angeheuert worden war, um einige seiner verschollenen Kunden wiederzufinden. Doch zuerst gab es noch das konspirative Treffen mit einem der heimlichen Herrscher dieser Welt, der sich in den Kopf gesetzt hatte, das Problem der Überbevölkerung auf seine Weise zu lösen. Denn genau das hatte Lex Kayser in der vergangenen Stunde Sonndobler erklärt. Seit sieben Uhr morgens saßen sie in diesem abhörsicheren Raum, dessen zentimeterdicke Edelstahlwände alle Funkwellen abprallen ließen. Hier wurde normalerweise über Hunderte von Millionen oder Milliarden an Kundenvermögen verhandelt, die von der Schweiz auf geheimen Wegen in die allerletzten Steuerparadiese in der Südsee verschoben wurden. In den vergangenen Jahren hatten solche Gespräche oft zweimal pro Woche stattgefunden.
Auch an diesem Tag ging es um Milliarden. Um Milliarden von Menschen. Lex Kayser hatte mit einer Vielzahl von Zahlenkolonnen und Graphen in einer schlichten Powerpoint-Präsentation dargelegt, was er in Davos schon angedeutet hatte. Dass es in sehr absehbarer Zukunft zu viele Menschen auf der Welt gäbe, um den Wohlstand der großen Volkswirtschaften aufrechtzuerhalten. Nämlich genau dann, wenn der Oil Peak, die maximale Fördermenge, erreicht sei. Von da an konnte es nur noch bergab gehen mit der Verfügbarkeit unglaublich billiger Energie – und damit mit dem Bestand an Menschen, deren Leben von dieser Energie abhing.
Nach dem Zahlenwust, dem ein Mann wie Albert Sonndobler natürlich ohne Probleme folgen und aus denen er leicht die logischen Schlüsse ziehen könnte, fasste Kayser noch einmal alles zusammen, als würde er eine Rede vor einem TV-Publikum halten. Sonndobler ließ ihn gewähren und unterbrach ihn nicht. Er wollte die Konsequenzen, die sich Kayser überlegt hatte, aus dessen eigenem Mund hören.
»Sehen Sie, Albert, bislang sind die Armen am Hunger und medizinischer Unterversorgung gestorben. In Afrika. In den Slums von Südamerika und Asien. Also als Opfer der eigenen Fruchtbarkeit. Uns hat das nicht wirklich betroffen.« Es war früh für einen Whiskey, aber Kayser schüttete sich doch einen kleinen Schuss aus der Karaffe, die auf dem Eileen-Grey-Beistelltisch stand, in den doppelten Espresso. Er nahm einen Schluck und schaute zur Decke.
»Doch das war nur das Vorspiel. Die Armut wird auf uns übergreifen. Auf die USA und Kanada. Auf Mitteleuropa. Auf Russland. Auf die sich gerade ausbildende Mittelschicht Chinas. Die ersten Anzeichen sehen wir bereits. Die Amerikaner können ihren Lebensstil jetzt bereits nur aufrechterhalten, weil sie immer riskantere Methoden der Ölgewinnung verwenden. Und sie sichern sich die Ölreserven außerhalb ihres eigenen Landes mit ihrer riesigen Armee. Das tun sie seit Jahrzehnten. Die Russen müssen ihre Gesellschaft mit geheimdienstlichen Methoden überwachen, weil sonst Wilder Westen bei ihnen ausbricht. Auch hier haben die Verteilungskämpfe längst begonnen. Wenige werden immer reicher, und die meisten immer ärmer. Und alles auf Basis von Erdgas, das sie derzeit noch nach Europa liefern. Ach ja, Europa. Nordsee-Öl. Das ist schon längst über sein Fördermaximum hinaus. Außerdem ist man hier schon mitten in der Krise. Arbeitsplätze sind in Drittweltländer abgeschoben worden. Und jetzt wissen die Leute nicht mehr, womit sie ihr Brot verdienen sollen. Alles auf Pump gekauft. Und jetzt wollen die Deutschen auch noch raus aus der Atomenergie. China verbrennt derzeit Unmengen an Steinkohle und plant, zweihundertfünfzig Atomkraftwerke zu bauen. Auch Uran ist endlich, lieber Albert. Wenn das alles nicht reicht – und das wird es nicht, weil die Chinesen
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