Bluteis: Thriller (German Edition)
nicht Sandra?«, stammelte er. Vor Erleichterung liefen ihm zwei Tränen aus den Augen.
»Nein. Das ist eine russische Oligarchin. Ich denke, so lautet die Berufsbezeichnung von Frau Petuchowa in westlichen Medien. Jedenfalls ist diese Frau tot. Und das bedeutet unter Umständen eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie, Herr Baumgartner. Die gute: Aller Wahrscheinlichkeit nach lebt Ihre Freundin. Die schlechte: Sie wurde zusammen mit sieben anderen Menschen entführt. Die Terroristen haben einen Rettungshubschrauber als Doublette getarnt und die sechs Leute damit über die Berge geflogen. Das haben Sie sogar fotografiert. Ach ja, war das schon wieder ein Zufall?«
Thien brauchte eine Weile, um das, was er gerade gehört hatte, gedanklich einzuordnen. »Warum sollte ich fotografieren, wie meine Frau entführt wird?«
»Vielleicht ist sie gar nicht entführt worden. Vielleicht ist sie genauso Teil der Verschwörung wie Sie, Baumgartner.«
»Und ich fotografiere das Geschehen, damit Sie die Fotos finden und nach Tagen darauf kommen, was eigentlich passiert ist? Kommen Sie, das ist Schwachsinn.«
»Sie fotografieren das, um anschließend der Welt beweisen zu können, dass die Entführung stattgefunden hat. Und dass wir hier allesamt Idioten sind.«
Thien legte das Gesicht in die Hände. War er in einer Neuverfilmung von Franz Kafkas Schloss? Er ließ die Hände sinken und sah Steiner wieder an. »Bullshit. Absoluter Bullshit. Und das wissen Sie.« Er besah sich erneut das Foto. »Sie sieht aus …«
»… wie Sandra Thaler aus Mittenwald im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, Freistaat Bayern, Bundesrepublik Deutschland. Doch in Wahrheit stammt sie aus Moskau, Zentralrussland, Russische Föderation. Das ist nun wirklich mal ein Zufall. Und den bestätigt ein Muttermal am Hals, das in den Pass der Dame eingetragen ist, und innerhalb der nächsten Stunden ein DNA-Test. Außerdem war sie zum Zeitpunkt ihres Ablebens nicht schwanger.«
»Woher wissen Sie überhaupt …«
»Wenn jemand einen positiven Schwangerschaftstest in seinem Badezimmerschrank herumliegen lässt, finden sogar wir solche Geheimnisse heraus«, spottete Steiner. »Dass Sandra Thaler entführt wurde, wissen wir erst seit heute früh. Da ist nämlich die Leiche von Natalija Petuchowa im See gefunden worden. Beziehungsweise ahnen wir es seither.«
»Das ist … doch ganz großartig!« Thien strahlte über das ganze Gesicht.
»Langsam, langsam. Wir schließen nichts aus, Baumgartner. Es gibt nur eines, was für Sie spricht, und das ist der Schwangerschaftstest. Nur darum habe ich einen leichten Zweifel daran, dass Sie direkt mit der Sache zu tun haben. Da haben Sie großes Glück, dass Sie Ihre Sandra geschwängert haben. Eine schwangere Frau schickt man nicht in einen Terroreinsatz. Oder doch? Nein, Sie nicht.«
»Und die soll ich jetzt …?«
»Finden, ganz recht. Denn eins ist klar, Baumgartner: Wenn Sie es nicht tun, tut es keiner. Es wird aller Wahrscheinlichkeit nicht nach ihr gesucht werden.«
Thien starrte den Mann an. »Sie meinen, sie ist ein zu kleines Licht?«
»Nein. Wir suchen nach keiner der vermissten Personen. Für die Weltöffentlichkeit sind diese Leute im See versunken, vielleicht tauchen ihre Leichen irgendwann wieder auf, vielleicht auch nicht. Vielleicht wurden die Leichen unter dem Eis in den Ablauf des Sees in den Inn gespült. Das ist auch im Winter ein reißender Gebirgsfluss. Da werden Leichen innerhalb von Tagen zerrieben von Geröll und Geschiebe. Alles möglich. Auf keinen Fall werden wir bestätigen, dass diese Menschen entführt wurden. Nicht solange sich die Entführer nicht bei uns melden. Und das haben sie bisher noch nicht getan. Vielleicht tun sie es nie.«
»Warum nicht?«
»Weil sie die Leute einfach ausschalten wollten.«
»Und deshalb diesen Aufwand mit dem gesprengten See? Wären ein paar Typen mit Maschinenpistolen, die wild um sich ballern, da nicht einfacher?«
»Sie wollen uns zeigen, was sie können. Und dass da noch mehr kommen kann. Kommen wird. Dass sie dabei auch noch ein paar Zielpersonen ganz nebenbei und unauffällig einsacken konnten, war ein netter Nebeneffekt.«
»Ihre persönliche Theorie, wie ich annehme.«
»Sehr persönlich. Natürlich werden sie irgendwann die Familien der Geiseln oder ihre Firmen zu erpressen versuchen, aber auch die werden Stillschweigen bewahren. Diese sechs Menschen – pardon, fünf, denn Ihre Freundin zählt eigentlich nicht dazu – sind die
Weitere Kostenlose Bücher