Bluteis: Thriller (German Edition)
meisten werden zu Steinzeitmenschen, wenn sie ihnen das Auto wegnehmen oder nur sagen, dass ein Liter Sprit vernünftigerweise fünfzig Dollar kosten soll. Dieser Moment wäre also schon längst gekommen, wenn wir nicht mit unserer globalen Politik gegensteuern würden. Das Öl geht zur Neige. Wir haben die maximalen Fördermengen erreicht. Es gibt keinen Zweifel, es geht nur darum: Wo wird der Krieg um den Rest des Öls geführt? In unseren Innenstädten? Oder in den Weiten Afrikas, Indiens und Chinas, wo das Problem der Bevölkerungsexplosion schließlich auch herkommt? Wo findet der große Verteilungskrieg statt? Und mit welchen Mitteln? Mit Atombomben? Oder mit …«
»Oder mit …?« Sonndobler wollte es, wennschon, auch genau wissen.
»Moment. Ich will Ihnen nur noch den Gedanken zu Ende führen.« Kayser hörte sich wieder so an, als würde er ein Interview geben, als säße er in einer Talkshow. Wie oft hatte er diese Rede schon vor anderen Mächtigen dieser Erde gehalten? Sonndobler war klar, dass er nicht als Allererster mit Kaysers Gedanken konfrontiert wurde. Wahrscheinlich waren diese Gedanken nicht einmal dem Kopf Lex Kaysers entsprungen, sondern stammten von irgendeinem Thinktank, einer dieser im Schatten von Ministerien und großen Organisationen wie der UNO tätigen Konglomerate von superintelligenten, aber lebensfremden Denkern.
Lex Kayser redete weiter wie ein Wasserfall. »Stellen Sie sich vor: Wir entscheiden uns dafür, die entwickelten Länder den Krieg unter sich ausmachen zu lassen. Man könnte ja argumentieren: Wir haben das Öl schließlich auch verbraucht. Wie wird die Welt aussehen nach einem Schlagabtausch, der womöglich atomar sein wird, zwischen Amerika, Europa, Russland und China? Wenn wir das Problem aber jetzt ausschalten, bevor es uns übermannt, dann gewinnen wir jetzt einen Krieg, den wir in hundert Jahren nicht mehr gewinnen können, weil es uns dann gar nicht mehr gibt. Verstehen Sie? Wenn wir ihn jetzt gegen die Massen der Dritten Welt führen, müssen sich die Länder der Ersten Welt nicht untereinander bekämpfen. Unterm Strich sind die Schäden viel kleiner. Es ist also auch eine moralische Angelegenheit. Auch wenn wir offiziell ja nie über Moral sprechen. Wir lassen Zahlen sprechen. Sagen wir immer. Ist doch Gewäsch, lieber Albert. Natürlich gibt es keine unmoralische Zahl und natürlich auch keine moralische. Aber das, was Sie mit einer Zahl machen, ist moralisch oder unmoralisch. Unsere Experten sagen, dass die Welt langfristig anderthalb, vielleicht zwei Milliarden Menschen ernähren kann. Ohne das Öl, das wir heute zu Spottpreisen fördern und verbrennen. Es wird bald aus sein, Albert. Und wir haben jetzt fast sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Die alle jeden Tag Öl verbrauchen.«
»Das heißt: Fünf Milliarden müssen weg?« Sonndobler schluckte.
»Das heißt: Fünf Milliarden Menschen werden weggehen. Ob sie das wollen oder nicht. Und ob wir das wollen oder nicht, spielt auch keine Rolle. Die Frage ist nur: wie und wann? Haben Sie das endlich verstanden? Und das ist noch nicht die ganze Wahrheit: Es macht es nämlich nur schlimmer, wenn wir warten, bis das Öl komplett verbraucht ist. Dann sind es vielleicht acht Milliarden oder neun. Dann müssen sechs oder sieben Milliarden weg. In kürzester Zeit. Sie werden erfrieren, verhungern, sich totschlagen. Überall auf der Welt. Auch bei Ihnen zu Hause in Zürich. Warten Sie bis zum ersten Winter ohne Öl. Was glauben Sie, wird geschehen? Das ist doch sehr leicht zu verstehen!«
Sonndobler konnte nichts entgegensetzen. »Alles klar. Wir müssen jetzt operieren, solange sich der Körper noch selbst heilen kann.«
»Wenn er das noch kann.«
»Welcher Art ist Ihr Skalpell, Lex?«
»Einer sehr einfachen Art. Es besteht genau genommen aus einer einzigen Zelle. Ihr Name ist Toxoplasma gondii. «
»Ich muss passen, Lex«, sagte Sonndobler ermattet. In was war er hier hineingeraten? Wann trat jemand durch die Panzertür und rief: »Hier ist die versteckte Kamera!« Oder wenigstens: »April, April!«
Doch da kam niemand.
»Toxoplasma gondii ist ein Einzeller. Ein Parasit. Er befällt höherwertige Säugetiere. Mäuse. Ratten. Katzen. Menschen. Das Besondere an diesem Erreger: Es ist ein sogenannter Neuroparasit. Er befällt ein Tier und verändert dessen Nervensystem. Um das Verhalten des Wirtstieres zu verändern. Wie schlau, lieber Albert. Stellen Sie sich vor, ein Einzeller! Er bildet Zysten in
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