Bluteis: Thriller (German Edition)
schon längst nicht mehr Fahrrad fahren wollen –, wird sich China die Rohstoffe, die es braucht, mit Waffengewalt holen. Bevor es die Japaner tun. Und dabei mit den Amerikanern zusammenklatschen.«
Als hätte es einer Illustration bedurft, klatschte Kayser in die Hände. Der Knall der aufeinanderprallenden Handflächen sprang von den nackten Stahlwänden ab und traf als trockenes Echo auf den Trommelfellen der beiden Männer auf.
»Habe ich Indien schon erwähnt? Da wird eine weitere Milliarde Menschen Auto fahren wollen in den kommenden zwanzig Jahren. Kurzum: Es geht so nicht weiter. Denn wenn sich diese Mächte um die verbleibenden Mengen an Öl, Erdgas, Kohle und Uran streiten, wird es zu Kriegen kommen. Zu apokalyptischen Kriegen. Wir sprechen von Atommächten, die sich um die spärlichen Reste dieser Rohstoffe streiten.« Kayser leerte die Tasse und stellte sie unter die Kapselmaschine, um sich noch einen extrastarken Kaffee aus Guatemala auf Knopfdruck brühen zu lassen.
Sonndobler schwieg. Er wusste, worauf der Vortrag des Ober-Osterbachers hinauslief. Auf den parallelen Verlauf der Öl- und der Bevölkerungskurve. Tatsächlich schloss Kayser: »Die Mittelschichten dieser Gesellschaften sind die Kunden unserer Unternehmen. Die Quelle unseres Wachstums. Sie kaufen Autos. Sie eröffnen Konten bei Banken. Sie kaufen Häuser und brauchen Kredite. Sie gehen in die Innenstädte und kaufen Plüschtiere und Anziehsachen für ihre Kleinen. Sie versichern ihr Leben und ihre Gesundheit. Sie essen Tütensuppen und baden mit Schaum. Wir müssen die Mittelschichten erhalten. Dazu müssen die Armen weg. Sie gefährden mit ihrem enormen Verbrauch die Mittelschicht.«
Eine so krasse Schlussfolgerung hatte Sonndobler nicht am Ende von Kaysers Rede erwartet. Er räusperte sich und schaute den alten Mann fragend an. »Weg?«
»Weg. Ganz recht, Albert. Es gibt für die Armen zwei Möglichkeiten. Unterwerfung oder Aufstieg. Entweder sie arbeiten für die Mittelschicht, stellen T-Shirts, Plastikspielzeug und Computer her. Das tun sie jetzt. Noch. Das Problem: Diese Jobs werden immer weniger. Roboter können das alles viel besser. Derzeit sind Menschen nur noch billiger. Aber das ist eine Frage der Zeit. Jetzt haben wir schon Mindeststandards für die Arbeiter in den Fabriken in Bangladesh. Verständlich, aber – dadurch wurde diese Arbeit in den letzten fünf Jahren enorm verteuert. Der Roboter braucht aber keine Pause und keinen Schlaf. Kurzum: Man braucht all diese Menschen nicht! Zweite Möglichkeit für die Armen: Die Unterschicht migriert nach oben in die Mittelschicht. Dazu braucht es eines: Bildung. Leider teuer. Nicht überall gewollt. Vergessen Sie die Religionen nicht. Dauert zudem mindestens eine Generation. Eher zwei, womöglich drei. Traditionen ändern Sie nicht von heute auf morgen. Der Aufstieg wäre eine humane Sache. Den propagieren auch alle Politiker und die Weltbank. Das Problem damit wird aber sein: Man braucht nicht alle Armen in der Mittelschicht. Eine Mittelschicht, die zu groß wird, fällt zurück zur Unterschicht. Deshalb die logische Konsequenz: Wir dezimieren die Armen. Ja, mein lieber Albert, lassen Sie es uns so ausdrücken: Wir rotten die Armut aus, indem wir die Armen ausrotten. Und dieses Mal systematisch. Nicht mit einem Bürgerkrieg hier und einer lokalen Epidemie da. Das machen wir in Afrika nun schon seit den 1960ern. Und, was hat es gebracht? Unterm Strich haben wir nur verschlimmbessert. Wir brauchen ganzheitliche Konzepte.«
Sonndobler stockte der Atem. Redete Kayser vom globalen Völkermord? »Und warum erzählen Sie mir das, Lex?«
»Weil Sie der Auserwählte sind, Albert. Weil Sie das Programm zu Ende führen werden, wenn ich es nicht mehr kann.«
»Und wenn ich es nicht tue?«
»Albert, es kommt nicht auf Sie an. Auf mich auch nicht. Es geht doch um Folgendes: Die Menschen, die auf diesem Planeten heute leben, Sie und ich, wir sind nicht sehr viel anders beschaffen als unsere Vorfahren, die vor fünfzigtausend Jahren in der Steppe Afrikas hausten und es irgendwann für vorteilhaft erachteten, auf zwei Beinen zu gehen. Auch damals mussten sich unsere Ahnen gegen den Nachbarstamm verteidigen. Vertrauen und Zusammenarbeit kann man sich erst leisten, wenn die Grundbedürfnisse gesättigt sind. Und solange sie gesättigt sind. In dem Moment, in dem es an unsere Grundbedürfnisse wie Essen und eine beheizbare Wohnung geht, werden wir wieder zu Steinzeitmenschen. Ach was, die
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