Bluteis: Thriller (German Edition)
den Gehirnen seiner Wirte. Genau in den Gebieten, in denen Angst entsteht und verarbeitet wird. Mäuse und Ratten haben keine Angst mehr vor Katzen. Natürlich ist das sehr vorteilhaft für Toxoplasma gondii. Denn der angstfreie Nager wird von der Katze gefressen. Und schon ist unser Freund im nächstgrößeren Wirt. Und von dort kommt er über Katzenkot zum Menschen. Ein Drittel der Menschheit trägt ihn bereits in sich.«
»Und was bewirkt er dort?«, wollte Sonndobler wissen.
»Bislang nichts. Oder, sagen wir, die Wissenschaft ist sich nicht einig. Grippeartige Symptome, nichts Schlimmes, in ein paar Wochen ausgestanden. So weit, so gut. Aber was man nicht weiß, ist, ob auch beim Menschen Verhaltensveränderungen eintreten. Und genau hier, mein lieber Albert, setzen wir an. Wir haben einen Toxoplasma gondii gentechnisch weiterentwickelt, der eine sehr spezielle Eigenschaft des Menschen beeinflusst.«
Lex Kayser genoss es, Sonndobler auf die Folter zu spannen. Er griff zur Whiskeyflasche und goss sich noch einen Schuss in den erkalteten Kaffee. Dann setzte er die Tasse an die Lippen, sog einen Mund voll ein und spülte damit seine Vorderzähne. Erst unten, dann oben. Endlich schluckte er das Kaffee-Branntwein-Gemisch hinunter. »Wir haben zwei Dinge getan: Zum einen senkt unser optimierter Toxoplasma gondii die Hemmschwelle gegenüber Aggression. Wer befallen wird, wird aus dem geringsten Anlass zum wilden Stier. Zum anderen wirkt der Anti-Angst-Effekt jetzt nicht mehr nur bei Ratten und Mäusen, sondern auch beim Menschen. Garantiert. Umfassend.«
»Keine Angst mehr?«
»Keine Angst. Nicht einmal vor dem Sterben. Was denken Sie, lieber Albert? Gibt es eine tödlichere Mischung als grenzenlose Wut vermengt mit unerschütterlichem Mut? In einem Slum? Oder einer Großstadt wie Mexico City?«
Sonndobler schwieg. Flächendeckende Bürgerkriege. Das war das Konzept von Lex Kayser.
»Aber wie wollen Sie die Ausbreitung auf die Mittelschicht der Erstweltländer, die Sie ja schützen wollen, verhindern?«
»Ganz einfach: Indem wir, anders als bei Aids, den Aus-Schalter diesmal mitliefern. Wir haben eine Impfung entwickelt, die ab Zeitpunkt X in die Formeln der jährlichen Grippe-Impfungen übernommen wird.«
»So einfach?«
»So einfach. Grippe-Impfungen sind sicher. Sie finden jedoch nur in wohlhabenden und gebildeten Bevölkerungsschichten statt. Diese werden immun werden gegen Toxoplasma gondii. Und wir brauchen eine Kampagne gegen Katzenhaltung in den Industrieländern. Das wird ein bisschen tricky. In Deutschland zum Beispiel gibt es schon mehr von diesen Viechern als Kinder. Ich mag sie nicht.«
Sonndobler fragte nicht nach, was Kayser nun nicht mochte, Kinder oder Katzen. »Das heißt: Tag X kommt bald?«
»Sehr bald, Albert. Wir versenden die ersten infizierten Mäuse mit Care-Paketen nach Dafour. Anfang April auf unserer Osterbacher-Tagung wird der Harte Kern die Maßnahme beschließen. Und am nächsten Tag geht es los. Die Logistikkette steht. Alles wartet nur auf mein ›Go!‹«
»Anfang April. Wow.« Mehr brachte Sonndobler nicht heraus. Er wünschte sich, auch zu der Generation von Topmanagern zu gehören, bei denen der morgendliche Genuss von Hochprozentigem nicht als Zeichen von Schwäche, sondern von Männlichkeit interpretiert worden war. Wie Lex Kayser. Er hätte jetzt am liebsten eine ganz Karaffe Schnaps vom Beistelltisch genommen und hinuntergekippt. Das gigantische Mordprogramm, dessen designierter Chef er war, lief bereits. Das war ein großer Happen für einen Mittwochmorgen. »Wer weiß davon?«, fragte er.
»Ich. Eine Vertrauensperson in der Zentrale in New York. Und jetzt Sie.«
»Und wenn – sagen wir mal – uns drei etwas zustößt?«
»Dann passiert nichts. Es liegt in New York ein Brief im Safe, der den Inhaber berechtigt, die Aktion zu starten. Das weiß der Vorstandsvorsitzende der Logistikfirma, mit dem wir zusammenarbeiten. Mehr weiß er allerdings nicht.«
»Und der Schlüssel zu diesem Safe?«
»Hat nur der Vorsitzende des Lenkungsausschusses. Also ich. Und wenn Sie im April auf unserer Jahrestagung mein Nachfolger werden, dann bekommen Sie ihn ausgehändigt.«
»Nur Sie …«, sinnierte Sonndobler laut.
»Das ist das Sicherste. Wir müssen auf der Hut sein. Wir dürfen niemandem trauen. Leider haben wir es mittlerweile mit zwei Fronten zu tun. Mit der natürlichen Front dort draußen, mit diesem ständigen Wachstum. Und jetzt auch mit den Ungewaschenen, die uns
Weitere Kostenlose Bücher