Bluterde
so wichtig für den Regenwald.«
»Gärtner des Dschungels« – das klingt poetisch, dachte Lea und machte sich im Kopf eine Notiz für ihren nächsten Blog. Der Marsch war anstrengender, als sie erwartet hatte, aber nach einer weiteren halben Stunde durch das unwegsame Gelände wurde Lea für ihre Ausdauer und Geduld endlich belohnt. Femi sah sie als Erster. Er klopfte Lea auf die Schulter und deutete auf einen Baum, der hundert Meter entfernt war.
»Da drüben, in den unteren Ästen! Zwei junge Gorillas!«
Lea stellte sich auf die Zehenspitzen, um über das Dickicht hinwegsehen zu können. Vergeblich.
»Wo zwei sind, sind noch mehr«, flüsterte Omari und pirschte sich näher an die Tiere heran. In regelmäßigen Abständen stieß er ein tiefes Brummen aus.
»Mit dem Brummen signalisiert er den Tieren: Hallo, wir sind’s!«, flüsterte Femi Lea von hinten ins Ohr. Seine Lippen berührten ihr Ohrläppchen flüchtig. Leas Blick folgte dem ausgestreckten Arm von Adolphe. Dort, zwischen den Zweigen, bewegte sich ein schwarzes Knäuel rollend vorwärts. Erst bei genauerem Hinschauen erkannte sie zwei kleine Gorillas, die balgend durchs Unterholz tollten. Die Gesichter voller Konzentration, versunken im Spiel. Lea war so gefesselt von dem Bild, dass sie die anderen Gorillas der Gruppe erst nach und nach registrierte. Nicht weit weg von ihnen hatte es sich eine Mutter zwischen frischem Bambus und Schösslingen bequem gemacht. Ein winziges Baby klammerte sich an ihr Fell, während sie den kleinen Körper liebevoll nach Ungeziefer absuchte. Überall waren jetzt Gorillas. Sie dösten in der Sonne, spielten oder widmeten sich andächtig dem Fressen. Es mussten um die fünfzehn Tiere sein. Plötzlich fühlte sie Femis schwere Hände auf ihren Schultern. Gerade als sie etwas sagen wollte, verstärkte er den Druck und drehte sie langsam nach rechts.
Da saß er. Der König des Dschungels.
Ruhig knackte er ein Stück Bambus und schälte das zarte Innenleben mit seinen mächtigen Zähnen heraus. Die kraftvolle Präsenz des Silberrückens jagte Lea Schauer über den Rücken. Das zerfurchte, schwarze Gesicht mit den geblähten Nasenlöchern strahlte Autorität aus. Er war sich seiner Stellung als uneingeschränkter Herrscher des Regenwaldes bewusst.
»Darf ich vorstellen: Sebari«, flüsterte Femi neben ihr.
Lea wollte weinen und lachen zugleich. Sie war hier. Hier bei den Grauergorillas. Ihren Gorillas. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Der Anblick dieses majestätischen Tieres ließ sie alle Strapazen und Ängste der vergangenen Tage vergessen.
Lea spürte, dass Femi sie anstarrte.
»Was ist? Warum siehst du mich so an?«
Sie hatte sich zu ihm gedreht und sah ihm forschend in die Augen. Femi lächelte, sein Gesicht wirkte plötzlich offen, fast weich.
»Diese Seite von dir kannte ich noch nicht. Du bist so …«
Unvermittelt wurde ihre Unterhaltung von einem lauten Rascheln unterbrochen. Ein junger Gorilla trollte sich linkisch durchs Gebüsch, keine drei Meter von ihnen entfernt. Lea hielt den Atem an. Sie wusste, dass der Sicherheitsabstand mindestens sieben Meter betragen sollte. Doch der Gorilla kam langsam näher. Das Tier mochte um die zwei Jahre sein. Kein Baby mehr, aber noch lange nicht erwachsen. Sein zotteliges Fell war mattschwarz, ein paar hartnäckige Kletten krallten sich an seiner rechten Schulter fest. Er stand auf allen vieren vor ihnen und machte seinen Hals lang. Lea war nicht mehr sicher, wer hier wen beobachtete. Für ein paar Sekunden trafen sich ihre Blicke, dann drehte der Gorilla ab und lief zu seiner Gruppe zurück. Lea stand regungslos. Die Begegnung hatte sie kalt erwischt. Der Ausspruch eines bekannten Primatologen kam ihr in den Sinn: »Einem Gorilla in die Augen zu sehen bedeutet, sich selbst zu sehen.«
»Wir müssen los!«
Femi berührte sie sanft am Arm. Es war Zeit, Sebari und seine Gruppe zu verlassen. Schweigend traten die vier den Rückweg zum Auto an. Erst jetzt fiel Lea auf, dass sie kein einziges Foto gemacht hatte. Die Begegnung mit den Gorillas hatte sie so gefangen genommen, dass sie nicht eine Sekunde daran gedacht hatte. Lea kümmerte es nicht, sie fühlte sich lebendig wie schon lange nicht mehr. Sie füllte ihre Lungen mit der würzigen Luft des Dschungels. Eine nie gekannte Heiterkeit überschwemmte ihr Herz. Nichts da draußen schien noch wichtig, an keinem anderen Ort der Welt wollte sie jetzt sein. Sie dachte an Milla. Wie gerne hätte sie ihren
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