Bluterde
Halsabschneider wie Mudaku. Er war der einzige Ankäufer, den der Rebellenführer in seinem Gebiet zuließ, und konnte deshalb die Preise diktieren. Die Männer wussten, dass sie nur einen Bruchteil dessen erhielten, was das Erz am Markt tatsächlich wert war. Aber sie hatten keine Wahl. Die Camphuren und die Jäger, die das Buschfleisch verkauften, konnten sie mit Coltan bezahlen. Nicht die Händler, die regelmäßig mit dem Russen einflogen. Die wollten für ihre Plastikschlappen, Gummistiefel, Schaufeln, Siebgitter, Dosen, Alkohol, Tabak und Streichhölzer Bargeld sehen. Astronomische Summen wurden für den billigen Tand aufgerufen.
Crocodile stampfte mit versteinerter Miene auf seinen Bruder zu und gab ihm das Telefon zurück.
»Wir brauchen die Suzukis. Jetzt! Der Hubschrauber landet in einer Stunde.«
Francois blickte seinen Bruder verwundert an.
»So früh? Ich dachte …«
»Du sollst nicht denken. Tu, was ich sage!«
»Was ist los?«
»Es gibt Schwierigkeiten in Bukavu!«
Lea stand in der plüschigen Lobby des La Roche und wartete auf Adolphe. Nach Femis überstürztem Aufbruch am Vorabend musste der junge Mann sie heute abholen und in das WPS-Büro bringen. Lea verspürte nicht die geringste Lust, ihrem launischen Projektleiter dort zu begegnen. Die Wut über Femis idiotisches Verhalten brodelte noch in ihr und die Nacht mit wenig Schlaf hatte sie nicht besänftigt. Wenigstens hatte sie ihre Schlaflosigkeit genutzt und Mails nach Deutschland geschrieben. Messner war einer auf der langen Liste gewesen. Sie fühlte sich verpflichtet, ihrem Förderer die gute Nachricht mitzuteilen. Er war bestimmt erleichtert darüber, dass sich Interpol jetzt der Ermordung Malikes annahm. Sie beobachtete aufmerksam das Kommen und Gehen in der Empfangshalle. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, sich einen Kaffee zu bestellen, um die Müdigkeit etwas in Schach zu halten, doch da kam der schlaksige Adolphe bereits durch die Tür. Er wirkte erleichtert, als er Lea in der Ecke erspähte.
»Guten Morgen, Adolphe!«
Der junge Mann lächelte sie schüchtern an.
»Guten Morgen, Madame Lea. Das Auto steht draußen.«
Lea gab ihren Schlüssel beim Concierge ab und folgte ihm. In der Nacht hatte es geregnet und die Luft war kühl und frisch. Die Sonne blinzelte hinter den Wolken hervor und Leas Laune besserte sich.
»Also los«, sprach sie sich selbst laut Mut zu. Die Fahrt durch den chaotischen Morgenverkehr verlief schweigend. Adolphe musterte sie von Zeit zu Zeit von der Seite, aber sie tat so, als ob sie es nicht bemerken würde. Er war ein sympathischer Kerl. Ein Stau, begleitet von anhaltendem Gehupe, hielt sie auf der Avenue Lumumba gefangen. Lea blickte in den Himmel, der von einem Gewirr aus Stromleitungen zerschnitten wurde. Unzählige Kabel wanden sich wie Schlingpflanzen um die Holzmasten. Sie dachte an den Stromausfall vom Vorabend.
»Habt ihr oft Stromausfälle?«
»Oh ja, sehr oft, Madame«, erwiderte Adolphe. Er zeigte nach oben.
»Dahulage.«
»Dahulage?«
»Illegale Stromleitungen. Machen das Netz noch instabiler.«
Zehn Minuten später standen sie vor der Büroeinfahrt. Adolphe stieg aus dem Landrover und schloss das Eisentor auf. Langsam rollten sie auf den von einer hohen Mauer umgebenen Innenhof. Es war niemand zu sehen und auch von Femis Auto fehlte jede Spur.
»Wo sind die anderen?«, wandte sich Lea an Adolphe. Der Ranger zuckte mit den Schultern. Lea versuchte, die Klinke der Bürotür herunterzudrücken, sie war abgeschlossen.
»Hast du einen Schlüssel?«
Adolphe nickte und kramte den passenden Schlüssel aus der Brusttasche seiner Uniform. Erst jetzt fiel ihr auf, dass alle Fensterläden des Gebäudes geschlossen waren, auch jene, die zu Femis Wohnung im Obergeschoss gehörten. Im Halbdunkel des Büros war es seltsam still. Adolphe beeilte sich, die Blendläden zu öffnen, um etwas Licht hereinzulassen. Auf Femis Schreibtisch lag ein gelber Zettel. Er reichte ihn Lea.
Lea,
bin mit Omari und Joseph beim ICCN. Werden erst am späten Nachmittag wieder zurück sein.
Gruß
Femi
»Dieser Scheißkerl hat mich einfach versetzt!«
Lea zerriss den Zettel wütend in Stücke und warf die Schnipsel auf den Boden.
»Was denkt der sich eigentlich?«, schimpfte sie lautstark auf Deutsch. Adolphe stand mit großen Augen vor ihr und starrte sie an.
»Adolphe, ich muss zum ICCN!«
»Aber Madame …«
»Du hast recht. Das ist unsinnig. Ich werde für Ian dort einen neuen Termin vereinbaren. Das
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