Bluternte: Thriller
sind normalerweise keine Psychopathen«, setzte er hinzu. »Der Erzbischof hält nicht viel von so was.«
»Vikar?«, fragte Alice. »Sie meinen, unser Vikar? Der neue?«
»So ist es.«
»Sie können gar kein Vikar sein«, wandte Joe ein.
»Warum denn nicht?«
»Vikare haben keine Shorts an«, ließ Joe ihn wissen. »Und die sind auch echt alt. Wie Opas.«
Harry grinste. »Na ja, an der Sache mit den Shorts kann ich wahrscheinlich was drehen. Den Rest muss ich wohl dem Lauf der Zeit überlassen. Müssen Vikare ihren Kaffee draußen vor der Tür trinken?«
Auch Alice hatte Harry angestarrt, als könne sie es nicht recht glauben, doch sie war ein bisschen höflicher als ihr jüngster Sohn. Rasch machte sie einen Schritt zurück, so dass Harry und die Jungen eintreten konnten. Sie schloss die Tür hinter ihnen, während Joe und Tom den Flur entlang vorausgingen und dabei ihre Turnschuhe von sich kickten.
»Was ist ein Psychopath?«, hörte Harry Joe flüstern, als die Jungen die Tür am Ende des Flurs aufstießen.
»Jake Knowles, wenn er mal erwachsen ist«, antwortete Tom und hob seinen Bruder hoch.
Alice und Harry folgten den beiden in die Küche, und Millie fing an zu zappeln und wollte abgesetzt werden. Sobald sie auf eigenen Beinen stand, tappte sie zu den Jungen hinüber. Joe, von Toms Armen umschlungen, hatte die Hände fest um eine große Keksdose gelegt.
»Kek, Kek«, sagte Millie und sah für so einen kleinen Floh erstaunlich listig aus.
Alice bedeutete Harry mit einer Geste, am Tisch Platz zu nehmen, ehe sie zum Wasserkessel hinüberging und ihn kurz prüfend schüttelte, ob Wasser darin war. Dann schaltete sie ihn ein. Auf dem Tisch standen noch die Überreste des Frühstücks; Teller und Besteck waren neben dem Spülbecken aufgestapelt.
»Sie sind nicht von hier«, stellte Alice fest, während sie Kaffee in einen Filter löffelte.
»Das müssen Sie gerade sagen«, gab Harry zurück. Bei ihrem Akzent musste er an Mint Juleps und duftgeschwängerte Luft denken, an so intensive Hitze, dass die Luft stofflich zu sein schien. »Lassen Sie mich raten. Texas?«
Bewegung hinter ihnen veranlasste ihn, sich nach den Kindern umzudrehen. Millie kaute an einem Ingwerplätzchen und beäugte interessiert einen Schokoladenkeks in Joes Hand.
»Knapp daneben. Ich bin aus Tennessee, aus Memphis«, sagte Alice und deutete auf die Zuckerschale. Harry schüttelte den Kopf. Zu seiner Rechten klemmte sich Joe ein Ende des Schokokekses zwischen die Lippen, ehe er sich bückte und Millie den Rest anbot. Sie schlug die Zähne hinein und begann zu mümmeln, gerade als Joe dasselbe tat. Am Ende küssten sie sich und brachen in wildes Gekicher aus.
»Das reicht jetzt, ihr drei. Bald gibt’s Mittagessen«, verkündete Alice, ohne sich umzudrehen. Harry sah, wie die beiden Jungen einen raschen Blick wechselten, ehe Joe sich drei Schokokekse und ein Ingwerplätzchen in die Tasche stopfte und hastig den Rückzug aus der Küche antrat. Millie, der ein Keks mit Vanillefüllung anvertraut worden war, stopfte diesen in den Ausschnitt ihres Kleides und tappte hinaus, während ihr ältester Bruder mit stolzem Lächeln zusah. Tom steckte sich gerade eine Handvoll Kekse in die eigenen Taschen, als er merkte, dass Harry ihn beobachtet hatte. Sein Gesicht wurde um eine Schattierung rosiger, während sein Blick zwischen dem Besuch und seiner Mutter hin und her zuckte.
»Wir gehen nur ins Wohnzimmer«, verkündete er.
»Okay, aber zuerst her mit den Keksen.« Alice streckte die Hand aus. Tom warf einen letzten Blick zu Harry hinüber – der zuckte mitfühlend die Schultern –, ehe er seine Beute herausrückte und hinausschlich.
Einen Augenblick war alles still. Ohne die Kinder wirkte der Raum zu leer. Alice stellte Becher, die Zuckerschale und eine Milchflasche auf den Tisch und legte Löffel zurecht.
»Wohnen Sie schon lange hier?«, erkundigte sich Harry. Er wusste, dass das nicht sein konnte. Das Haus war unverkennbar neu.
»Seit drei Monaten«, sagte Alice. Sie wandte sich ab und fing an, schmutzige Teller und Schalen in die Spülmaschine zu stellen.
»Schon gut eingelebt?«, erkundigte sich Harry.
Nachdem die Spülmaschine eingeräumt war, bückte Alice sich zu einem Schrank unter dem Spülbecken und holte einen Lappen und Desinfektionsspray hervor. Sie spülte den Lappen unter dem Hahn aus und machte sich dann daran, die Arbeitsplatte abzuwischen. Harry fragte sich, ob seine Anwesenheit wohl unerwünscht war, trotz
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