Bluternte: Thriller
des angebotenen Kaffees.
»So etwas dauert wohl eine Weile«, antwortete Alice nach einem Augenblick. Sie brachte den Kaffee zum Tisch und setzte sich. »Werden Sie hier im Ort wohnen?«
Harry schüttelte den Kopf. »Nein, das Pfarrhaus liegt ein Stück den Hügel runter. In Goodshaw Bridge. Ich bin für drei Gemeinden zuständig; dies hier ist die kleinste. Und wahrscheinlich die größte Herausforderung, wenn man bedenkt, dass hier seit mehreren Jahren keine Gottesdienste mehr stattgefunden haben. Was meinen Sie, werden die Eingeborenen sich als friedlich erweisen?«
Wieder eine Pause. Diesmal definitiv unbehaglich. Alice schenkte Kaffee ein und schob Harry die Milch hin.
»Dann wird die Kirche also wieder aufgemacht«, meinte sie, nachdem er sich bedient hatte. »Das ist wohl gut für den Ort. Wir gehen eigentlich nicht oft in die Kirche, aber wir sollten uns wohl die Mühe machen, wo wir doch so dicht dran wohnen. Wann machen Sie denn auf?«
»Erst in ein paar Wochen«, erwiderte Harry. »Nächsten Donnerstag werde ich offiziell in das Benefizium eingesetzt, in der St. Mary’s Church in Goodshaw Bridge. Es wäre toll, wenn Sie und Ihre Familie zu dem Gottesdienst kämen.«
Alice nickte vage und verstummte abermals. Allmählich fühlte Harry sich entschieden unwohl. Dann gab Alice sich anscheinend einen Ruck. »Es hat hier im Ort ziemlichen Widerstand dagegen gegeben, dass wir herziehen«, sagte sie und lehnte sich vom Tisch weg. »Dieses Haus war seit zwanzig Jahren der erste Neubau im Ort. Der größte Teil des Grund und Bodens und viele von den Häusern im Dorf gehören der Familie Renshaw, und die scheint wohl darüber bestimmen zu können, wer in Heptonclough wohnen darf und wer nicht.«
Von irgendwoher im Haus waren laute Stimmen zu vernehmen und dann ein hohes Aufquietschen von Millie.
»Mein Kirchenvorsteher hier ist ein Mann namens Renshaw«, meinte Harry. »Er war in der Kommission, vor der ich mich beworben habe.«
Alice nickte. »Das war Sinclair«, sagte sie. »Er wohnt mit seiner ältesten Tochter und seinem Vater in dem großen Haus auf der anderen Seite des Kirchengeländes. Der alte Mr. Tobias ist neulich vorbeigekommen und zum Kaffee geblieben. War anscheinend ganz hin und weg von den Kindern. Jenny, die jüngere Tochter, hat sich mir vor ein paar Wochen im Postamt vorgestellt und gesagt, sie würde mal vorbeischauen. Wie gesagt, so etwas braucht Zeit.«
Noch mehr Gekicher aus dem Nebenzimmer.
»Ist das Ihr Mann?«, erkundigte sich Harry und zeigte auf ein Foto auf dem Fensterbrett hinter ihr. Darauf war ein gutaussehender Mann zu sehen, Mitte dreißig, den Cowboyhut auf dem dunklen Haar nach hinten geschoben. Er trug ein blaues Polohemd von derselben Farbe wie seine Augen.
Alice nickte. »Das hier war jahrelang sein Traum«, meinte sie. »Ein eigenes Haus zu bauen, in einer Gegend wie dieser. Hühner zu halten, einen Gemüsegarten zu haben. Natürlich ist er die meiste Zeit nicht –«
Sie wurde von einem lauten Klopfen an der Haustür unterbrochen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung verließ sie die Küche. Harry schaute auf die Uhr. Er hörte das leise Tap, Tap, Tap winziger Füße, und gleich darauf erschien Millie wieder in der Küche und zog eine leuchtend rote Ente an einem Stock hinter sich her. Sie begann den Tisch zu umkreisen, als er hörte, wie Alice die Tür öffnete. Entschlossen trank er einen letzten großen Schluck Kaffee und stand auf. Er musste wirklich los.
»Alice, hi. Ich wollte schon seit einer Ewigkeit mal vorbeischauen. Störe ich?« Die Stimme der Frau war hell und klar, ohne den leisesten Akzent. Noch ehe er die Küchentür erreicht hatte und den Flur hinunterschauen konnte, wusste er, dass sie jung sein musste und eine Privatschule besucht hatte. Und wahrscheinlich recht schön war, vielleicht mit der Andeutung eines Pferdegesichts. Sie stand direkt in der Haustür. Alles richtig getippt.
»Haben Sie und Gareth nächsten Freitag zufällig Zeit?«, fragte sie Alice gerade. »Wir haben ein paar Leute zum Abendessen eingeladen.«
Ihr blondes Haar wies zu viele Schattierungen und helle Strähnen auf, um irgendetwas anderes als natürlichen Ursprungs zu sein. Es fiel ihr bis auf die Schultern und wurde von einer teuren Sonnebrille zurückgehalten. Sie hatte das Gesicht einer Alabasterstatue. Neben ihr sah die kleine, hübsche Alice aus wie eine Puppe.
»Es wäre toll, wenn Sie auch kommen könnten«, beteuerte sie und setzte eine flehende Miene auf,
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