Blutfehde
während wir wie gelähmt an Ort und Stelle verharrten.
Das Chaos war so rasch vorbei, wie es gekommen war.
Ich drückte mich vom Boden hoch, als Lern nach dem Richter rief, und rappelte mich barfuß auf die Knie. Durch den Sturz mit Jonetta war mein Kleid am Rocksaum zerrissen.
Von Fred Gertz kam nach wie vor kein Lebenszeichen.
Oscar bewegte sich, er drehte sich auf den Rücken und rieb seinen Schädel.
Ich kroch in Elsies Richtung.
»Bleib verdammt noch mal, wo du bist, Alex«, sagte Lern. »Fred, lebst du noch, Mann?« Er lief zu Elsie und ging neben ihr in die Hocke. Ich stand auf, um ihm zu helfen, für den Fall, dass sie noch am Leben war. »Vergiss es. Sie ist tot, Alex. Geh zurück zu Jonetta.«
Richter Gertz griff mit beiden Händen nach der Tischkante. »Ist es vorbei?«
Plötzlich schien sich alles gleichzeitig abzuspielen. Artie Tramm stöhnte, und Lern rannte zu ihm. »Bleib unten, Fred. Er kann jede Minute zurückkommen.«
Ich rannte zur Tür, durch die Quillian geflüchtet war, und verriegelte sie. Sollte er im Treppenhaus bewaffneten Polizisten begegnen, würde er höchstwahrscheinlich zurückkommen und uns als Geiseln nehmen.
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst bleiben, wo du bist, Alex«, rief Lern. »Das bringt gar nichts. Die meisten Gerichtspolizisten haben einen Schlüssel für diese Tür.«
Lern kannte sich in diesen Gerichtszellen weitaus besser als jeder Staatsanwalt aus.
»Ist Artie -?«
»Ich habe seine Waffe, Alex. Bleibt alle ruhig. Falls die Tür wieder aufgeht, habe ich Arties Waffe, es wird uns nichts passieren.« Lern hob die Pistole, sodass Jonetta und ich sie sehen konnten. »Es ist nur der Arm, Artie. Bleiben Sie ganz ruhig liegen. Sie werden bald wieder im Einsatz sein, Artie.«
Ich robbte zu Elsie Evers. Noch vor zwei Minuten hatte diese ruhige Frau ihre Arbeit gemacht, und niemand von uns hatte geahnt, wie gefährlich dieser scheinbar so kultivierte und fügsame Angeklagte in Wirklichkeit war.
Ich setzte mich über alle Regeln hinweg, die ich am Tatort zu beachten hatte und von jedem professionellen Ermittler erwartete. Ich kniete mich neben Elsie und ergriff ihre noch warme Hand, um den Puls zu fühlen. Ein Blick auf die Rückseite ihres Kopfs sagte mir, dass ich keinen finden würde - und dass es so für Elsie auch besser war -, aber dennoch hatte ich das überwältigende Bedürfnis, ihr irgendwie zu helfen, während sie ihr Leben auf dem dreckigen Fußboden des Gerichtssaals aushauchte.
»Was tun Sie da?«, fragte der Richter. »Sie ist tot. Lassen Sie sie in Ruhe.«
»Jonetta, würden Sie mir meine Jacke von der Stuhllehne reichen?«
Jemand rüttelte an der Tür, die zu den Zellen führte.
Jonetta verschanzte sich wieder hinter ihrem Tisch.
Lern schnappte sich Arties Walkie-Talkie und warf es mir zu. »Alex, fang! Drück auf den Talk-Knopf und sende ein SOS.«
Er lief die fünf, sechs Meter zum Haupteingang und schloss die Tür auf. Die beiden jungen Polizisten, die an der Sicherheitsschranke Dienst taten, kamen mit gezogener Waffe in den Saal gelaufen, als Lern ihnen erklärte, was passiert war.
Ich gab über Funk durch, dass ein bewaffneter Häftling entflohen und eine Gerichtspolizistin tot war. »Lern«, rief ich. »Hier drüben versucht jemand reinzukommen.«
Die beiden Gerichtspolizisten sprachen in ihre Walkie-Talkies und kamen auf mich zu, um die Tür zu sichern, durch die Quillian geflohen war. »Als wir Schüsse hörten, habe ich Verstärkung und einen Krankenwagen angefordert«, sagte einer von ihnen. »Sie müssten jeden Augenblick hier sein. Die Reporter drehen schon total durch.«
Einer postierte sich neben der Tür und beobachtete den wackelnden Türknauf. Von außen schlug ein Mann gegen die Tür. »Artie? Mach auf. Ich bin’s, Blakely.«
Der zweite Polizist ging hinter die Richterbank und half dem geschockten Gertz auf die Beine. »Euer Ehren, kommen Sie bitte mit. Auf die andere Seite des Gerichtssaals.«
»Der Captain hat eine Totalsperre angeordnet«, antwortete der erste Polizist auf Blakelys Rufe. »Ich kann dich erst reinlassen, wenn Verstärkung da ist. Der Gefangene ist in deine Richtung raus. Elsie ist tot. Artie und Oscar warten auf den Krankenwagen.«
Ich ging zu meinem Tisch, nahm meine Jacke von der Stuhllehne und legte sie Elsie über den Kopf und den Oberkörper. Ich konnte sie nicht davor schützen, dass die Medien ihr eine Mitschuld an ihrem eigenen Tod geben würden. Sie hatte sich von Quillian überwältigen
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